Dr. Klaus Heer

SZENE Hamburg April 2006
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INTERVIEW: ANDREA FONK

SZENE HAMBURG: Wir haben gerade gelernt, dass man in einer Beziehung keine Kompromisse eingehen soll.
DR. KLAUS HEER: Keine Kompromisse? Das geht nur, wenn ich mich mit einem Erleuchteten einlasse. Sonst herrscht Dauerkrieg. Wir müssen mit einer paradoxen Situation zurechtkommen: Bindung auf der einen Seite und Autonomie auf der anderen. Wenn ich keine Autonomie mehr habe, dann löse ich mich auf, dann haben wir ein vierfüßiges Monstrum. Aber bei zu viel Autonomie bekommt man zwei rücksichtslose Egoisten. Das geht ja auch nicht.

Wenn ich heute beschließe, mit einem bestimmten Menschen mein weiteres Leben verbringen zu wollen. Was dürfte ich realistisch erwarten?
Ich nehme jetzt an, Sie möchten ein Kind, und die Ehe soll sich in eine Familie wandeln. Dann machen Sie beide einen ganz großen Wandel durch von einer Liebesbeziehung zu einer Lebensgemeinschaft. Da gibt es nicht mehr sehr viel Ähnlichkeiten. Man muss einen Weg finden, aus der Besoffenheit der Verliebtheit etwas Nüchternes, noch Angenehmes, noch Bekömmliches zu machen. Diese Kurve zu kriegen, ist nicht ganz einfach.

Ihre Chat-Partner haben die Kurve offenbar bekommen, auch wenn man anhand der Schilderungen ihrer alltäglichen Probleme oft nicht recht weiß wie.
Ja, und diese Alltagstretmühle über einen so langen Zeitraum, das ist eine ganz spezielle Mischung aus Komödie und Tragödie, die mich schon beeindruckt. Eigentlich hat niemand wirklich aufgegeben. Jeder kämpft auf seine Weise. Das Ergebnis ist ein Zustand ständigen Aufs und Abs. Aber wenn man nichts macht, entsteht eine chronische Bitterkeit, eine Kampfzone ohne Ende. Es ist einfach fast unmöglich, ein befriedigendes Beziehungsleben zu führen. Jedenfalls nicht auf Dauer. So ist das halt.

Das Gefühl „wohliger Langeweile“, das eine ihrer Gesprächspartnerinnen beschrieben hat, ist das der realistisch erreichbare Höhepunkt?
Ja, das könnte ein Höhepunkt sein. Aber Stallwärme, wohlige Stallwärme, ist ja etwas Komfortables. Man hat seinen Frieden da, wo viele Leute Krieg gegeneinander führen. Da ist man mit Stallwärme schon verwöhnt und hat viel nutzbringend investiert.

Gibt es überhaupt kein Veränderungspotenzial bei Partnern?
Es gibt manchmal so Erdbeben wie Außenbeziehungen, die viel umkrempeln können, wenn der Leidensdruck groß genug ist. Aber der Alltag besitzt so eine starke Gravitation, eine Anziehungskraft, die Veränderungen einfach enorm erschwert. In meinem Beruf ermutige ich die Leute, das als gegeben anzunehmen und sich nicht dagegen aufzu lehnen. Es hat gar keinen Zweck, auf etwas anderes hinzuarbeiten.

Man muss sich einfach arrangieren?
Ja, oder auseinander gehen.


In Ihren Interviews fällt auf, dass sich fast jeder als Opfer sieht. Es dreht sich ja letztlich immer wieder um das Gefühl …
… „ich komme zu kurz“. Diese Volksparanoia, sich sofort zwangsweise gegen jeden Vorwurf zu wehren, ist epidemisch verbreitet. Man will so was nicht hören. Das ist wie ein Reflex. Ich glaube, dieses Feilschen ums Zukurzkommen hängt mit dem grundlegenden Missverständnis zusammen, dass geglaubt wird, eine Beziehung sei eine Institution, die einem etwas schuldet. Man hat diese übersteigerte Erwartung, dass die Ehe oder die Beziehung eine Versorgungsanstalt ist, ein Freudenhaus. Und das ist sie nicht. Ich haben keinen Anspruch auf irgendetwas. Ich kann nur hoffen, wenn ich guten Willens bin und auch ein Minimum an Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit habe, mit meinem Partner verhandeln zu können. Dabei ist auch wichtig, was der überhaupt in seinem Repertoire hat. Er kann ja gar nicht fähig sein, mir all das zu geben, was ich mir erhoffe.

Ist einer der kritischen Punkte auch schon das Zusammenziehen?
Ja, auf jeden Fall, und dann das Heiraten. Das sind alles kritische Übergänge, an denen man hängen bleiben und sich die Bitterkeit und auch gleich die Scheidungsgründe für ein ganzes Leben holen kann. Jedes Paar muss lernen, mit mindestens einem triftigen Scheidungsgrund zu leben.

Sind Ihnen typische Frauen- und Männer-Probleme aufgefallen?
Es gibt das klassische Beispiel der unterschiedlichen Kommunikationsgewohnheiten. Da sind Männer, zumindest in den Augen der Frauen, etwas benachteiligt, ein bisschen sprach- und ausdrucksbehindert. Sie reden nicht, haben einfach nicht die Fähigkeit und die Lust, sich auf die verbale Ebene persönlich einzulassen. Wenn ich dann solche Paare bei mir in der Praxis erlebe, verstehe ich allerdings oft, dass die Männer nichts sagen – denn die sagen nicht das, was die Frauen hören wollen. Dann wird es schwierig und die Frauen werden entweder wütend oder sie verteidigen sich.

Kann es passieren, dass Paare manchmal mehr miteinander über die eigene Beziehung reden, als ihnen gut tut?
Ja, das gibt es auch. Ich denke jetzt an so Leute aus dem Psychokuchen, also Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, zum Beispiel. Also das ist ganz, ganz schlimm, da wird nächtelang diskutiert – ohne greifbares, praktikables Ergebnis. Das ist fast schlimmer als auf dem Bauernhof, wo man pro Tag nur sagt: „Ist das Futter schon gekommen?“, und der andere sagt „Das wird dann schon kommen“ – und vielleicht noch „Gute Nacht“. Das ist vergleichsweise geradezu wohltuend. Ich würde die urbane Geschwätzigkeit dann lieber gegen die agrarische Stummheit eintauschen.    


Klaus Heer führt seit 1974 eine Paartherapie-Praxis in Bern. Vor „Paarlauf“ (Scalo Verlag, 360 Seiten, 19,95 Euro) erschienen „WonneWorte“ (2000) und „Ehe, Sex & Liebesmüh“ (1995), weitere Informationen finden Sie unter www.klausheer.com
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor