facebook vom 12. April 2020
Ganz gewöhnliches Covid-19-Protokoll
Vero Kaufmann (79) hat es erwischt. Elf Tage lang war sie Covid-19-krank. Jetzt ist sie wieder da, genesen und lebendig. Wie sie ihre Corona-Krankengeschichte erlebt hat, schildert sie ihrem langjährigen Freund Klaus Heer (77) ganz präzis.
INTERVIEW: KLAUS HEER
INTERVIEW: KLAUS HEER
Wie hast du dich mit dem Corona-Virus angesteckt?
Ich weiss es nicht wirklich. Wir waren mit einem befreundeten Paar, alle vier etwas über 75, in einem kleinen Dorf im Unterwallis, ferienhalber für vier Tage. Eine knappe Woche später, am 16. März, wurden wir alle vier krank, praktisch gleichzeitig.
War da was gelaufen im Unterwallis?
Ja, wir hatten in einer engen vollgestopften Beiz Raclette gefuttert. Mit einem wunderbaren kühlen Chardonnay. Bundesrat und Daniel Koch waren weit weg. Ziemlich sicher haben wir uns dort den Käfer geholt.
Jetzt wurdest du also krank.
Ich wurde müde. Schlaff und schlaffer. Richtig kaputt, wie noch nie. Und kötzerig und appetitlos. Sonst nichts. René, mein Mann, fand, wir sollten zum Hausarzt. Also gingen wir zusammen dahin. Ich schlug ihm, dem Arzt, den Corona-Test vor. Weil ich leise Corona-Befürchtungen hatte. Obwohl die wesentlichen BAG-Symptome eigentlich fehlten.
Der Doktor war einverstanden?
Er war nicht gerade scharf drauf. «Ihre Laborwerte weisen auf eine Entzündung hin, wie gewöhnlich bei einer Grippe,», sagte er. Er fragte mich, wo wir in den Ferien gewesen seien und so. «Sie haben wirklich eine komische Grippe,» meinte er. Schliesslich willigte er ein: Okay, wir testen.
Nach dem Test liess er dich laufen?
Ich bat ihn noch um ein Schlafmittel-Rezept. Ich hatte bisher noch nie Schlafprobleme gehabt, aber jetzt wälzte ich mich jede Nacht hin und her und war doch so schlimm müde, sehr schlimm müde und unruhig gleichzeitig. Ich bekam Zoldorm 10mg. An den vier darauffolgenden Abenden nahm ich davon je eine halbe Tablette. Das half mir recht gut beim Ein- und Durchschlafen. Dann setzte ich das Mittel wieder ab, es war nicht mehr nötig. Obwohl das nächtliche Wälzen nicht aufhörte.
Ausser dem Zoldorm war von keinem Medikament die Rede?
Doch, er bot mir noch etwas gegen meine leichte Übelkeit an. Ich brauchte die Tabletten dann aber nur zweimal. Ich merkte nämlich, dass ich diese Kötzerigkeit ohne Kotzen auch ohne Chemie ziemlich gut aushalten konnte. Bevor ich ging, sagte er mir, wenn’s schlimmer würde, sollte ich ihn anrufen.
Jetzt ging das Warten auf das Ergebnis los.
Vier Tage später, also am 19. März, rief mich mein Hausarzt gegen Abend an und fragte mich, wie’s mir gehe. Ich sagte ihm: «Immer gleich. Unendlich müde, und innerlich unruhig. Tag und Nacht. Appetitlos. Mir ist ständig etwas schlecht.»
Und dann?
Dann sagte er mir: «Sie haben Covid-19. Ihr Test ist positiv. Leider.» Der Bescheid durchfuhr mich. Er jagte mir einen Schrecken ein, einen Moment lang. Aber nur kurz.
Warum nur kurz?
Ich rückte innerlich sofort zwei Dinge zurecht. Ich empfand augenblicklich ein starkes Vertrauen zu meinen Lungen; das hatte ich mir ja in jahrelanger Schnauf-Arbeit im Yoga erworben. Und ich rechnete mir rasch aus: Jetzt bin ich seit vier Tagen am Corona-Virus krank, stabil krank, immer gleich krank, ohne Husten, das stehe ich jetzt auch noch weitere Tage durch. Beides gab mir augenblicklich Zuversicht und Kraft: Ich schaffe das!
Und die BAG-Covid-19-Symptome fehlten ja offenbar fast ganz?
Ja, genau, kein Husten – zum Glück! Kein Fieber. Keine Gliederschmerzen, eigentlich überhaupt keine Schmerzen, auch kaum Kopfweh. Kein Halsweh, kein Durchfall. Nicht dass ich etwas davon vermisst hätte …
Die Stimmung in deinem Haus …
Moment, ich hab was vergessen! René und ich büssten nach ein paar Tagen unseren Geschmacks- und Geruchssinn fast vollständig ein. Der tägliche Morgentee war fad wie warmes Wasser. Fassungslos musste ich zusehen, wie er eine fast volle Flasche Amarone in die WC-Schüssel schüttete. Der feine Rote war für uns beide ungeniessbar wässerig geworden.
Wie ging es dir psychisch?
Trüb. Abgelöscht. Freudlos. Eine Mischung aus gottergebener Läckmerstimmung und Energie-Baisse. So etwas kannte ich bisher überhaupt nicht. Ich hatte Null Kraft in mir. Es reichte nicht einmal für den Versuch, mich auch nur ansatzweise gegen diese totale körperliche und seelische Schlappheit zu stemmen. Ich wollte das auch gar nicht. Beinah wie ein abgeklärter Mönch nahm ich das einfach hin. So ungefähr. Viel Stille auch in mir drin. Keine Angst. Energie für nichts. Lust auf nichts. Verlangen nach nichts. Interesse und Freude an nichts.
Nichts?
Gar nichts, ich verordnete mir eine Informations-Sperre, schlicht weil ich keinerlei Lust hatte. Die Medien waren für mich gestorben. Was draussen vor sich ging mit Corona – ich hatte keine Ahnung. René las immer wieder die Zeitung, aber ich wollte nichts wissen.
Ja, aber deine Freundinnen, Nachbarn, Verwandten …
Ou nein, ich hatte mich ganz abgeschottet. Kaum Telefon. Ich las keine von den vielen WhatsApp-Meldungen, die hereinkamen. Für mich gab es überhaupt keinen Compi, kein Radio, kein Fernsehen, nichts.
Ich weiss es nicht wirklich. Wir waren mit einem befreundeten Paar, alle vier etwas über 75, in einem kleinen Dorf im Unterwallis, ferienhalber für vier Tage. Eine knappe Woche später, am 16. März, wurden wir alle vier krank, praktisch gleichzeitig.
War da was gelaufen im Unterwallis?
Ja, wir hatten in einer engen vollgestopften Beiz Raclette gefuttert. Mit einem wunderbaren kühlen Chardonnay. Bundesrat und Daniel Koch waren weit weg. Ziemlich sicher haben wir uns dort den Käfer geholt.
Jetzt wurdest du also krank.
Ich wurde müde. Schlaff und schlaffer. Richtig kaputt, wie noch nie. Und kötzerig und appetitlos. Sonst nichts. René, mein Mann, fand, wir sollten zum Hausarzt. Also gingen wir zusammen dahin. Ich schlug ihm, dem Arzt, den Corona-Test vor. Weil ich leise Corona-Befürchtungen hatte. Obwohl die wesentlichen BAG-Symptome eigentlich fehlten.
Der Doktor war einverstanden?
Er war nicht gerade scharf drauf. «Ihre Laborwerte weisen auf eine Entzündung hin, wie gewöhnlich bei einer Grippe,», sagte er. Er fragte mich, wo wir in den Ferien gewesen seien und so. «Sie haben wirklich eine komische Grippe,» meinte er. Schliesslich willigte er ein: Okay, wir testen.
Nach dem Test liess er dich laufen?
Ich bat ihn noch um ein Schlafmittel-Rezept. Ich hatte bisher noch nie Schlafprobleme gehabt, aber jetzt wälzte ich mich jede Nacht hin und her und war doch so schlimm müde, sehr schlimm müde und unruhig gleichzeitig. Ich bekam Zoldorm 10mg. An den vier darauffolgenden Abenden nahm ich davon je eine halbe Tablette. Das half mir recht gut beim Ein- und Durchschlafen. Dann setzte ich das Mittel wieder ab, es war nicht mehr nötig. Obwohl das nächtliche Wälzen nicht aufhörte.
Ausser dem Zoldorm war von keinem Medikament die Rede?
Doch, er bot mir noch etwas gegen meine leichte Übelkeit an. Ich brauchte die Tabletten dann aber nur zweimal. Ich merkte nämlich, dass ich diese Kötzerigkeit ohne Kotzen auch ohne Chemie ziemlich gut aushalten konnte. Bevor ich ging, sagte er mir, wenn’s schlimmer würde, sollte ich ihn anrufen.
Jetzt ging das Warten auf das Ergebnis los.
Vier Tage später, also am 19. März, rief mich mein Hausarzt gegen Abend an und fragte mich, wie’s mir gehe. Ich sagte ihm: «Immer gleich. Unendlich müde, und innerlich unruhig. Tag und Nacht. Appetitlos. Mir ist ständig etwas schlecht.»
Und dann?
Dann sagte er mir: «Sie haben Covid-19. Ihr Test ist positiv. Leider.» Der Bescheid durchfuhr mich. Er jagte mir einen Schrecken ein, einen Moment lang. Aber nur kurz.
Warum nur kurz?
Ich rückte innerlich sofort zwei Dinge zurecht. Ich empfand augenblicklich ein starkes Vertrauen zu meinen Lungen; das hatte ich mir ja in jahrelanger Schnauf-Arbeit im Yoga erworben. Und ich rechnete mir rasch aus: Jetzt bin ich seit vier Tagen am Corona-Virus krank, stabil krank, immer gleich krank, ohne Husten, das stehe ich jetzt auch noch weitere Tage durch. Beides gab mir augenblicklich Zuversicht und Kraft: Ich schaffe das!
Und die BAG-Covid-19-Symptome fehlten ja offenbar fast ganz?
Ja, genau, kein Husten – zum Glück! Kein Fieber. Keine Gliederschmerzen, eigentlich überhaupt keine Schmerzen, auch kaum Kopfweh. Kein Halsweh, kein Durchfall. Nicht dass ich etwas davon vermisst hätte …
Die Stimmung in deinem Haus …
Moment, ich hab was vergessen! René und ich büssten nach ein paar Tagen unseren Geschmacks- und Geruchssinn fast vollständig ein. Der tägliche Morgentee war fad wie warmes Wasser. Fassungslos musste ich zusehen, wie er eine fast volle Flasche Amarone in die WC-Schüssel schüttete. Der feine Rote war für uns beide ungeniessbar wässerig geworden.
Wie ging es dir psychisch?
Trüb. Abgelöscht. Freudlos. Eine Mischung aus gottergebener Läckmerstimmung und Energie-Baisse. So etwas kannte ich bisher überhaupt nicht. Ich hatte Null Kraft in mir. Es reichte nicht einmal für den Versuch, mich auch nur ansatzweise gegen diese totale körperliche und seelische Schlappheit zu stemmen. Ich wollte das auch gar nicht. Beinah wie ein abgeklärter Mönch nahm ich das einfach hin. So ungefähr. Viel Stille auch in mir drin. Keine Angst. Energie für nichts. Lust auf nichts. Verlangen nach nichts. Interesse und Freude an nichts.
Nichts?
Gar nichts, ich verordnete mir eine Informations-Sperre, schlicht weil ich keinerlei Lust hatte. Die Medien waren für mich gestorben. Was draussen vor sich ging mit Corona – ich hatte keine Ahnung. René las immer wieder die Zeitung, aber ich wollte nichts wissen.
Ja, aber deine Freundinnen, Nachbarn, Verwandten …
Ou nein, ich hatte mich ganz abgeschottet. Kaum Telefon. Ich las keine von den vielen WhatsApp-Meldungen, die hereinkamen. Für mich gab es überhaupt keinen Compi, kein Radio, kein Fernsehen, nichts.
Du wolltest nicht, dass dich jemand unterstützte, Anteil nahm oder so?
Nein, nur ja keine mühsamen Telefone, keine Scheissfragen – alles hätte mich nur genervt. Ich wollte mich schützen, wollte meine abgeriegelte Stille. Meinen schlaffen Frieden, fertig. Reiner Selbstschutz, in den ich mich einmummelte.
Strikter Selbstschutz?
Es gab etwas Telefonkontakt mit meinem jüngeren Sohn. Und mit dem Paar, mit dem zusammen wir uns im Wallis offenbar angesteckt hatten und das jetzt auch mit Covid-19 zu tun hatte. Aber alles nur sehr sporadisch. René und ich hatten schon am Anfang vereinbart, dass wir sonst niemandem erzählen wollten über die Corona-Vorgänge in unserem Haus. Wenn’s nötig war, logen wir die Leute einfach an. Zum Beispiel hielt mir die Nase zu beim Reden und näselte von einem kleinen Schnupfen.
Ich nehme an, du hast nicht den ganzen Tag flach im Bett gelegen.
Nein, nein, nur in der Nacht! Tagsüber war ich im Slow-Motion-Modus. Immer aufrecht oder sitzend. Voll verlangsamt, als müsste ich möglichst die Energie sparen, die mir fehlte. Ich hatte ja nichts zu tun, rein gar nichts. Dieser Zustand war meinem Naturell diametral entgegengesetzt. Ich bin ein hochtouriger Mensch. Seit 79 Jahren.
Du warst also todmüde, aber aufrecht. Langsamst, aber in Bewegung. Und innerlich formlos.
Nicht ganz. Es gab kleine Reste von hilfreicher Struktur, die ich in meine Corona-Tage einfügen konnte, ohne grossen Aufwand. Ich machte uns Tee, auch wenn der inzwischen widerlich schmeckte. Ich ging immer wieder hinaus in den Garten. Ich setzte dort ganz sacht und langsam einen Fuss vor den anderen. Ein Nachbar hätte mich wohl für ein müdes Gespenst gehalten. Ein oder zwei Mal am Tag bereitete ich mir ein Fussbad mit Wohlfühlsalz. Am Abend schaute ich mir manchmal eine blöde Soap an, vielleicht auch nur bis zur Mitte. Das mache ich sonst nie.
Du sassest mit René auf dem Sofa für diese Soap?
Überhaupt nicht. Wir machten nur wenig zu zweit. Obwohl wir eigentlich immer zusammen waren. Abgesehen von den Momenten, wo ich draussen im Garten war. Es erstaunt mich jetzt selbst: was uns wirksam beschäftigte und vereinte, war der Einkaufszettel!
Wie bitte?
Ja, die tägliche Einkaufsliste! Wir hatten drei junge Leute aus dem Quartier, die für uns einkauften. Sie waren eigentlich unser einziger realer Aussenkontakt während unserer Krankheit. Denen legten wir diese Liste vor die Tür. Wir verhandelten ausgiebig und beinah lustvoll über alle Einzelheiten. Einkaufsliste produzieren – das war unsere primäre gemeinsame Freud! Unglaublich, aber wahr. Noch verbindender als das Kochen. Und erst recht als das lustlose Essen.
Sonst gab’s nichts, was euch verband?
Nicht viel. Doch! Das Buch am Morgen. René liest mir ja seit vielen Jahren jeden Morgen aus einem Buch vor. Dieses Ritual blieb uns erhalten. Das war auch richtig gut.
Aber ihr habt doch geredet über eure merkwürdige Corona-Zweisamkeit?
Nein. Ich weiss eigentlich nicht genau, was René den ganzen Tag machte. Es interessierte mich nicht sonderlich. Und wenn ich jetzt zurückdenke, fällt mir aber auf, dass wir praktisch nie zofften miteinander.
Oh!
Gell, das ist bemerkenswert für uns! Seit Jahrzehnten sind wir dem Chifle nicht wirklich abgeneigt, das weiss du ja. Aber jetzt, in diesen elf Tagen, war das weg. Wir waren wohl zu faul, um uns aneinander zu nerven. Wir waren beide einfach da. Nebeneinander. Trocken solidarisch. Wortlos verbunden. Matt verbunden.
Ihr konntet einander nicht helfen?
Nein. Es war auch gar nicht nötig. Nicht allein sein genügte. Ohne René hätte es schwierig werden können für mich, vielleicht. Wahrscheinlich.
Jetzt ist Covid-19 vorbei, für euch, für dich.
Ja, schön, da rauszukommen! Ganz langsam füllen sich meine Adern mit neuem Leben. Den René erlebe ich auch irgendwie neu. Unspektakulär neu. Wir beginnen zum Beispiel damit, gemeinsam das Haus aufzuräumen. Nein, nicht das ganze Haus natürlich. Aber die Geschirrschublade in der Küche. Und wir versuchen zusammen zu putzen! Stell dir vor: Putzen ist richtig schön! Putzen als Paar, meine ich. Wir stehen ja immer noch unter Hausarrest und haben alle Zeit der Welt.
Krankheit und Hausarrest haben euch gutgetan, scheint es.
Uns zweien ja. Und mir ganz besonders. In den letzten paar Monaten war ich hyperaktiv gewesen. Kopflos dauerbeschäftigt. Corona hat mich jetzt brutal heruntergeholt auf den Boden. Auf meinen Boden. Jetzt, wo ich wieder gesund bin, mag ich den bundesrätlichen Gewahrsam besonders gern.
Du hast nichts zu tun.
Wir haben beide nichts zu tun. Doch! Morgen werden wir zusammen eine grosse Berner Ankenzüpfe backen, auch für unsere Nachbarn, haben wir beschlossen. Das wollten wir schon seit Jahren. Hatten aber nie Zeit.
Jetzt hat euch der Bundesrat gezwungen, Zeit zu haben.
Ja, der Bundesrat und Covid-19. Ich durfte nichts. Konnte nichts. Wollte nichts. Brauchte nichts. Musste nirgendwohin. Ein Geschenk!
Nein, nur ja keine mühsamen Telefone, keine Scheissfragen – alles hätte mich nur genervt. Ich wollte mich schützen, wollte meine abgeriegelte Stille. Meinen schlaffen Frieden, fertig. Reiner Selbstschutz, in den ich mich einmummelte.
Strikter Selbstschutz?
Es gab etwas Telefonkontakt mit meinem jüngeren Sohn. Und mit dem Paar, mit dem zusammen wir uns im Wallis offenbar angesteckt hatten und das jetzt auch mit Covid-19 zu tun hatte. Aber alles nur sehr sporadisch. René und ich hatten schon am Anfang vereinbart, dass wir sonst niemandem erzählen wollten über die Corona-Vorgänge in unserem Haus. Wenn’s nötig war, logen wir die Leute einfach an. Zum Beispiel hielt mir die Nase zu beim Reden und näselte von einem kleinen Schnupfen.
Ich nehme an, du hast nicht den ganzen Tag flach im Bett gelegen.
Nein, nein, nur in der Nacht! Tagsüber war ich im Slow-Motion-Modus. Immer aufrecht oder sitzend. Voll verlangsamt, als müsste ich möglichst die Energie sparen, die mir fehlte. Ich hatte ja nichts zu tun, rein gar nichts. Dieser Zustand war meinem Naturell diametral entgegengesetzt. Ich bin ein hochtouriger Mensch. Seit 79 Jahren.
Du warst also todmüde, aber aufrecht. Langsamst, aber in Bewegung. Und innerlich formlos.
Nicht ganz. Es gab kleine Reste von hilfreicher Struktur, die ich in meine Corona-Tage einfügen konnte, ohne grossen Aufwand. Ich machte uns Tee, auch wenn der inzwischen widerlich schmeckte. Ich ging immer wieder hinaus in den Garten. Ich setzte dort ganz sacht und langsam einen Fuss vor den anderen. Ein Nachbar hätte mich wohl für ein müdes Gespenst gehalten. Ein oder zwei Mal am Tag bereitete ich mir ein Fussbad mit Wohlfühlsalz. Am Abend schaute ich mir manchmal eine blöde Soap an, vielleicht auch nur bis zur Mitte. Das mache ich sonst nie.
Du sassest mit René auf dem Sofa für diese Soap?
Überhaupt nicht. Wir machten nur wenig zu zweit. Obwohl wir eigentlich immer zusammen waren. Abgesehen von den Momenten, wo ich draussen im Garten war. Es erstaunt mich jetzt selbst: was uns wirksam beschäftigte und vereinte, war der Einkaufszettel!
Wie bitte?
Ja, die tägliche Einkaufsliste! Wir hatten drei junge Leute aus dem Quartier, die für uns einkauften. Sie waren eigentlich unser einziger realer Aussenkontakt während unserer Krankheit. Denen legten wir diese Liste vor die Tür. Wir verhandelten ausgiebig und beinah lustvoll über alle Einzelheiten. Einkaufsliste produzieren – das war unsere primäre gemeinsame Freud! Unglaublich, aber wahr. Noch verbindender als das Kochen. Und erst recht als das lustlose Essen.
Sonst gab’s nichts, was euch verband?
Nicht viel. Doch! Das Buch am Morgen. René liest mir ja seit vielen Jahren jeden Morgen aus einem Buch vor. Dieses Ritual blieb uns erhalten. Das war auch richtig gut.
Aber ihr habt doch geredet über eure merkwürdige Corona-Zweisamkeit?
Nein. Ich weiss eigentlich nicht genau, was René den ganzen Tag machte. Es interessierte mich nicht sonderlich. Und wenn ich jetzt zurückdenke, fällt mir aber auf, dass wir praktisch nie zofften miteinander.
Oh!
Gell, das ist bemerkenswert für uns! Seit Jahrzehnten sind wir dem Chifle nicht wirklich abgeneigt, das weiss du ja. Aber jetzt, in diesen elf Tagen, war das weg. Wir waren wohl zu faul, um uns aneinander zu nerven. Wir waren beide einfach da. Nebeneinander. Trocken solidarisch. Wortlos verbunden. Matt verbunden.
Ihr konntet einander nicht helfen?
Nein. Es war auch gar nicht nötig. Nicht allein sein genügte. Ohne René hätte es schwierig werden können für mich, vielleicht. Wahrscheinlich.
Jetzt ist Covid-19 vorbei, für euch, für dich.
Ja, schön, da rauszukommen! Ganz langsam füllen sich meine Adern mit neuem Leben. Den René erlebe ich auch irgendwie neu. Unspektakulär neu. Wir beginnen zum Beispiel damit, gemeinsam das Haus aufzuräumen. Nein, nicht das ganze Haus natürlich. Aber die Geschirrschublade in der Küche. Und wir versuchen zusammen zu putzen! Stell dir vor: Putzen ist richtig schön! Putzen als Paar, meine ich. Wir stehen ja immer noch unter Hausarrest und haben alle Zeit der Welt.
Krankheit und Hausarrest haben euch gutgetan, scheint es.
Uns zweien ja. Und mir ganz besonders. In den letzten paar Monaten war ich hyperaktiv gewesen. Kopflos dauerbeschäftigt. Corona hat mich jetzt brutal heruntergeholt auf den Boden. Auf meinen Boden. Jetzt, wo ich wieder gesund bin, mag ich den bundesrätlichen Gewahrsam besonders gern.
Du hast nichts zu tun.
Wir haben beide nichts zu tun. Doch! Morgen werden wir zusammen eine grosse Berner Ankenzüpfe backen, auch für unsere Nachbarn, haben wir beschlossen. Das wollten wir schon seit Jahren. Hatten aber nie Zeit.
Jetzt hat euch der Bundesrat gezwungen, Zeit zu haben.
Ja, der Bundesrat und Covid-19. Ich durfte nichts. Konnte nichts. Wollte nichts. Brauchte nichts. Musste nirgendwohin. Ein Geschenk!
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor