Schweizer Familie vom 30. Juli 2009
«Bleibt einander fremd»
Es gibt sie: Wege zu einer lebendigen Paarbeziehung. Lesen Sie, wie auch nach Jahren des Zusammenlebens Anziehung und Neugier bleiben. Und dass ein Knall manchmal besser ist als treuseliges Nebeneinander.INTERVIEW: KLAUS LIEBER UND MICHAEL SOLOMICKY
Schweizer Familie: Herr Heer, was machen die meisten Männer, nachdem sie mit einer Frau geschlafen haben?
Klaus Heer: Sie drehen sich weg und schlafen weiter.
Kann gut sein. Wir vermuten dennoch etwas anderes. Der Mann fragt bekümmert: «Und, wie war ich?»
Das bestimmt auch. Aber die meisten Männer stehen auf und gehen nach Hause. Der Witz ist gut, stimmt aber nicht. Grossuntersuchungen zeigen, dass die meisten Liebesakte erstaunlicherweise innerhalb der Ehe stattfinden.
Die Zahl des ausserhäuslichen Beischlafs ist trotzdem beachtlich. Noch beeindruckender ist die Dunkelziffer.
Lohnt sich Untreue? Man gerät unweigerlich in Teufels Küche. Ungeschoren kommt niemand aus einer Affäre heraus.
Aber es kommt längst nicht jeder Seitensprung ans Licht. Besonders im Zeitalter der Handys ist es beschwerlich, eine Affäre zu verheimlichen. Der Aufwand ist gross – logistisch und emotional.
Warum lässt sich mit Untreue schlecht leben? Den meisten Menschen setzt es zu, ein Doppelleben zu führen. Weil sie dabei gegen ihren Grundsatz verstossen, aufrichtig zu sein. Für fast alle Leute ist Ehrlichkeit in der Beziehung wichtiger als Liebe. Entsprechend verletzt die Lüge tiefer als die Untreue.
Warum wird dennoch munter seitwärts gesprungen? Wegen der Fremdheit. Das Fremde ist anziehend, abgründig anziehend. Darum heisst es ja auch fremdgehen. Wer fremdgeht, ist zumindest noch lebendig.
Kann man in einer langjährigen Beziehung nicht lebendig bleiben? Natürlich, aber es braucht viel Aufwand und erscheint nicht wirklich attraktiv. Man muss sich gegen die Schwerkraft stemmen, die in Richtung Beziehungs-zerfall zieht. Diese Kraft wirkt von selbst, man braucht gar nichts zu tun, nicht einmal Fehler. Warten genügt.
Worauf warten? Tatenlos zusehen, wie die Beziehung verwahrlost oder tötelig wird.
Manche warten nicht so lange und kommen zu Ihnen. Was raten Sie ratlosen Paaren? Mit Ratschlägen um mich zu schlagen ist nicht meine Aufgabe.
Die Leute suchen doch Rat bei einem Therapeuten. Das stimmt. Aber sie befolgen ihn nicht. Deshalb unterstütze ich die Paare, die sich um Lösungen bemühen.
Die Paarbeziehung bleibt eine knifflige Sache, ob die Leute treu sind oder nicht. Beides ist riskant. Die Treue kann langfristig Blutleere bringen, die Untreue über Nacht Bruch und Zerstörung.
Ist die Paarbeziehung nicht bloss eine gesellschaftliche Konvention, um ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten? Sicher. Hätte keiner von Treue gehört, wäre kaum jemand treu. Die Paarbeziehung ist eine kulturelle Erfindung.
Und welche Rolle spielen die Gefühle? Keiner, der frisch verliebt ist, kann sich auch nur eine Sekunde vorstellen, untreu zu werden. Die Liebe und unsere Kultur sorgen dafür, dass die Monogamie in hohem Ansehen steht. Die treue Partnerschaft ist eine Idealvorstellung.
Die aber nicht von Dauer ist. Verknallte sind von Sinnen – wegen des Verliebtheitshormons Phenyl-Ethylamin. Sie schwören, miteinander alt werden zu wollen.
Warum lachen Sie jetzt? Weil das fünfzig Jahre dauern kann.
Ist das unrealistisch? Nüchtern betrachtet ist es schwer vorstellbar, wie ein Paar über Jahrzehnte liebend miteinander leben kann. Eine enorme menschliche Leistung.
Warum halten wir dennoch an dieser Idee fest? Zeitweise fahren wir alle auf dieses Modell ab, sonst würden wir uns gar nicht verlieben und heiraten. Das Ideal zählt manchmal mehr als die Wirklichkeit.
Doch die Realität hat sich verändert. Heute geht man mit der Partnerschaft um wie mit einem Auto. Läuft es nicht mehr, bringt man es zum Garagisten. Nach einigen Reparaturen lässt man es verschrotten und hofft auf eine Abwrackprämie. Und ich soll der Garagist sein?
Erraten. Und das Gericht wäre der Schrottplatz. Und die Abwrackprämie?
Ein Teil der Pensionskasse des anderen. Brutale Sicht. Aber es stimmt, vieles ist in unseren Köpfen anders geworden in den letzten Jahrzehnten. Wir rechnen heute mit der Vergänglichkeit der Beziehungen. Die Scheidung hat ihren moralischen Ruch verloren. Sie gilt als wählbare Lebensalternative. Aber das ist Theorie.
Und die Praxis? Geht eine Liebesgeschichte in die Brüche, ist das immer ein biografisches Desaster. Für alle Betroffenen schmerzlich, enttäuschend und beschämend.
Und doch lassen sich immer mehr Paare scheiden. Aus steigenden Scheidungsraten zu schliessen, es sei leichter geworden, zu verlassen oder verlassen zu werden, ist falsch. Die Liebe ist ein absolutes Gefühl. Sie legt dem Liebenden am Anfang einer Beziehung die Gewissheit nahe, die «Liebe fürs Leben» gefunden zu haben. Später stellt sich heraus, dass dem nicht so ist, jedenfalls nicht so, wie man es sich vorgestellt hat. Diese Enttäuschung trifft direkt ins Herz. Der Kopf mag heute freier sein, aber das Herz macht nicht mit.
Jeden Tag hören Sie in der Praxis von Konflikten und Krisen. Können Sie noch an den Wert der Ehe glauben? Es stimmt nicht, dass ich einzig mit dem Scheitern von Beziehungen konfrontiert bin. Ich sehe vor allem, wie Menschen etwas verbessern möchten. Jedes Paar trägt an einem unlösbaren Problem. Es muss lernen, dieses Problem gemeinsam zu tragen. Ich halte die Ehe für einen Ort, wo ich lebenslang die hohe paradoxe Kunst lernen kann, dem Partner treu zu sein und gleichzeitig mir selbst.
Wie ist das gemeint? Meine persönlichen Interessen und die Interessen meiner Beziehung sind oft schwer in ein Gleichgewicht zu bringen. Überall sind Kompromisse gefragt, mit denen beide Partner gut leben können.
Kann gut sein. Wir vermuten dennoch etwas anderes. Der Mann fragt bekümmert: «Und, wie war ich?»
Das bestimmt auch. Aber die meisten Männer stehen auf und gehen nach Hause. Der Witz ist gut, stimmt aber nicht. Grossuntersuchungen zeigen, dass die meisten Liebesakte erstaunlicherweise innerhalb der Ehe stattfinden.
Die Zahl des ausserhäuslichen Beischlafs ist trotzdem beachtlich. Noch beeindruckender ist die Dunkelziffer.
Lohnt sich Untreue? Man gerät unweigerlich in Teufels Küche. Ungeschoren kommt niemand aus einer Affäre heraus.
Aber es kommt längst nicht jeder Seitensprung ans Licht. Besonders im Zeitalter der Handys ist es beschwerlich, eine Affäre zu verheimlichen. Der Aufwand ist gross – logistisch und emotional.
Warum lässt sich mit Untreue schlecht leben? Den meisten Menschen setzt es zu, ein Doppelleben zu führen. Weil sie dabei gegen ihren Grundsatz verstossen, aufrichtig zu sein. Für fast alle Leute ist Ehrlichkeit in der Beziehung wichtiger als Liebe. Entsprechend verletzt die Lüge tiefer als die Untreue.
Warum wird dennoch munter seitwärts gesprungen? Wegen der Fremdheit. Das Fremde ist anziehend, abgründig anziehend. Darum heisst es ja auch fremdgehen. Wer fremdgeht, ist zumindest noch lebendig.
Kann man in einer langjährigen Beziehung nicht lebendig bleiben? Natürlich, aber es braucht viel Aufwand und erscheint nicht wirklich attraktiv. Man muss sich gegen die Schwerkraft stemmen, die in Richtung Beziehungs-zerfall zieht. Diese Kraft wirkt von selbst, man braucht gar nichts zu tun, nicht einmal Fehler. Warten genügt.
Worauf warten? Tatenlos zusehen, wie die Beziehung verwahrlost oder tötelig wird.
Manche warten nicht so lange und kommen zu Ihnen. Was raten Sie ratlosen Paaren? Mit Ratschlägen um mich zu schlagen ist nicht meine Aufgabe.
Die Leute suchen doch Rat bei einem Therapeuten. Das stimmt. Aber sie befolgen ihn nicht. Deshalb unterstütze ich die Paare, die sich um Lösungen bemühen.
Die Paarbeziehung bleibt eine knifflige Sache, ob die Leute treu sind oder nicht. Beides ist riskant. Die Treue kann langfristig Blutleere bringen, die Untreue über Nacht Bruch und Zerstörung.
Ist die Paarbeziehung nicht bloss eine gesellschaftliche Konvention, um ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten? Sicher. Hätte keiner von Treue gehört, wäre kaum jemand treu. Die Paarbeziehung ist eine kulturelle Erfindung.
Und welche Rolle spielen die Gefühle? Keiner, der frisch verliebt ist, kann sich auch nur eine Sekunde vorstellen, untreu zu werden. Die Liebe und unsere Kultur sorgen dafür, dass die Monogamie in hohem Ansehen steht. Die treue Partnerschaft ist eine Idealvorstellung.
Die aber nicht von Dauer ist. Verknallte sind von Sinnen – wegen des Verliebtheitshormons Phenyl-Ethylamin. Sie schwören, miteinander alt werden zu wollen.
Warum lachen Sie jetzt? Weil das fünfzig Jahre dauern kann.
Ist das unrealistisch? Nüchtern betrachtet ist es schwer vorstellbar, wie ein Paar über Jahrzehnte liebend miteinander leben kann. Eine enorme menschliche Leistung.
Warum halten wir dennoch an dieser Idee fest? Zeitweise fahren wir alle auf dieses Modell ab, sonst würden wir uns gar nicht verlieben und heiraten. Das Ideal zählt manchmal mehr als die Wirklichkeit.
Doch die Realität hat sich verändert. Heute geht man mit der Partnerschaft um wie mit einem Auto. Läuft es nicht mehr, bringt man es zum Garagisten. Nach einigen Reparaturen lässt man es verschrotten und hofft auf eine Abwrackprämie. Und ich soll der Garagist sein?
Erraten. Und das Gericht wäre der Schrottplatz. Und die Abwrackprämie?
Ein Teil der Pensionskasse des anderen. Brutale Sicht. Aber es stimmt, vieles ist in unseren Köpfen anders geworden in den letzten Jahrzehnten. Wir rechnen heute mit der Vergänglichkeit der Beziehungen. Die Scheidung hat ihren moralischen Ruch verloren. Sie gilt als wählbare Lebensalternative. Aber das ist Theorie.
Und die Praxis? Geht eine Liebesgeschichte in die Brüche, ist das immer ein biografisches Desaster. Für alle Betroffenen schmerzlich, enttäuschend und beschämend.
Und doch lassen sich immer mehr Paare scheiden. Aus steigenden Scheidungsraten zu schliessen, es sei leichter geworden, zu verlassen oder verlassen zu werden, ist falsch. Die Liebe ist ein absolutes Gefühl. Sie legt dem Liebenden am Anfang einer Beziehung die Gewissheit nahe, die «Liebe fürs Leben» gefunden zu haben. Später stellt sich heraus, dass dem nicht so ist, jedenfalls nicht so, wie man es sich vorgestellt hat. Diese Enttäuschung trifft direkt ins Herz. Der Kopf mag heute freier sein, aber das Herz macht nicht mit.
Jeden Tag hören Sie in der Praxis von Konflikten und Krisen. Können Sie noch an den Wert der Ehe glauben? Es stimmt nicht, dass ich einzig mit dem Scheitern von Beziehungen konfrontiert bin. Ich sehe vor allem, wie Menschen etwas verbessern möchten. Jedes Paar trägt an einem unlösbaren Problem. Es muss lernen, dieses Problem gemeinsam zu tragen. Ich halte die Ehe für einen Ort, wo ich lebenslang die hohe paradoxe Kunst lernen kann, dem Partner treu zu sein und gleichzeitig mir selbst.
Wie ist das gemeint? Meine persönlichen Interessen und die Interessen meiner Beziehung sind oft schwer in ein Gleichgewicht zu bringen. Überall sind Kompromisse gefragt, mit denen beide Partner gut leben können.
Wie hat die Emanzipation der Frauen die Paarbeziehung beeinflusst?
Im Gegensatz zu vielen euphorischen Untersuchungen halte ich ihre Wirkung für beschränkt – in den eigenen vier Wänden und vor allem im Bett. Dort herrscht nach wie vor Männersexualität. Es gibt zwar mehr Frauen, die fähig sind, Nein zu sagen. Aber noch immer viel zu wenige, die ihre Sehnsüchte wahrnehmen und ausdrücken können.
Sex ist allgegenwärtig. In der Werbung, im Film, überall wird darüber geschwatzt. Zu Hause aber, zwischen Mann und Frau, wird nicht geredet. Woher dieses Schweigen? Unsere Ohren sind undurchlässig. Rede ich mit meinem Partner und merke, er will nicht wirklich hören, was ich zu sagen habe, dann verstumme ich. Männer verstummen schneller als Frauen.
Wie schafft man es, gern miteinander zu reden? Ob gern oder ungern – ich muss einfach hören, was mir mein Gegenüber sagen will, sonst gibt es keinen Austausch. Das ist anstrengend, aber entscheidend. Gelingt das Gespräch nicht mehr, stirbt die Beziehung ab.
Jeder redet, und keiner hört zu. Es ist wie in der Debattiersendung «Arena»: Alle sind nur daran interessiert, zu Wort zu kommen. Während der eine spricht, bereiten alle anderen schon ihre Gegenargumente vor. Die «Arena» ist das nationale Festival der verstopften Ohren. Genau so machen wirs zu Hause.
Wie lässt sich das ändern? Für meine Arbeit benütze ich diesen «Talking Stick», sehen Sie!
Das ist ein ganz normaler Holzstecken. Was machen Sie damit? Einzig wer ihn in der Hand hält, darf reden. Und der andere hört zu, bis er wieder an der Reihe ist mit Reden. Diese Kommunikationsfertigkeit haben die Sioux-Indianer entwickelt. Mit den Ohren lernt man einander kennen.
Warum will ich nicht hören, was dem anderen an mir nicht passt? Weil ich ein fehlerfreier Partner sein möchte. Im Grunde weiss ich doch, dass ich jeden Tag versage, denn kein Mensch ist vollkommen. Aber genau das will ich nicht hören. Statt zuzuhören, rechtfertige ich mich, schlage zurück oder erteile Ratschläge.
Und darunter leidet die Sexualität. Ja. Und diese Enttäuschung belastet wiederum das Gespräch.
Mit der Zeit erlahmt das Interesse füreinander. Gibt es auch eine natürliche Abnützung? Wer länger zusammenlebt und -liebt, erlebt das. Dass aber noch Leben da ist, merkt man, wenn man einander wieder mal länger als drei Atemzüge in die Augen schaut.
Einfach so? Sich mit echtem Interesse auf den Blick des anderen einlassen ist aufregend, verunsichernd, umwerfend, macht nicht nur Schmetterlinge im Bauch, sondern richtige kräftige Vögel. Das braucht Mut.
Und der fehlt. Ja. Man bewegt sich nur noch in der Komfortzone des Kontakts, und am Schluss ist man ein langweiliges Paar.
Warum denn? Aus Angst.
Wovor? Angst vor Zurückweisung, Enttäuschung, Grobheit. Im Laufe der Jahre sammeln sich unvermeidliche widrige Erfahrungen an. Es entsteht ein Munitionslager.
Wie entschärft man es? Man lässt es explodieren.
Tönt gefährlich. Harmlos ist es nicht. Fliegt der Pulverturm in die Luft, kann die Druckwelle die Beziehung zerstören. Doch es kann auch sein, dass sich das Paar in einer neuen Welt wiederfindet. Es lernt sich neu kennen. Das ist notwendig. Leben zwei Menschen lange zusammen, ist die Fremdheit grundsätzlich gefährdet.
Heisst das, Mann und Frau müssen sich die Fremdheit bewahren? Sie sind eingeladen, zu sehen, wie fremd sie sich in Wirklichkeit geblieben sind. Auch nach vielen Jahren. Einander wirklich verstehen – das ist genau genommen nicht möglich. Was uns verbinden könnte, ist die Neugier aufeinander.
Wie kann man neugierig bleiben auf einen Menschen, mit dem man schon jahrelang zusammengelebt hat? Wenn ich die Ohren offen halte, höre ich genügend Neues, Fremdes. Der Partner ist eine unerschöpfliche Quelle von Andersartigkeit. Das griechische Wort Eros lässt sich frei übersetzen mit Neugier. Bin ich nicht mehr neugierig, verschwindet auch der Eros.
Das wichtigste Sexualorgan sind also die Ohren. Offene Ohren. Offene Ohren sind verbunden mit einem offenen Herzen.
Was nützen offene Ohren, wenn man auf die 70 zugeht oder schon darüber hinweg ist? Was für eine Frage! Warme Herzen und lustvolle Haut sind keine Privilegien der Jugend. Sexuelle Reife hat weniger mit Frischfl eisch zu tun als mit Lebenserfahrung in der zweiten Lebenshälfte. Das ist eine Erkenntnis, die unvereinbar ist mit den allgegenwärtigen pornografischen Bildern. Die pornografie verödet die Fantasie und gefriert das Herz.
Ihr neues Buch trägt den Titel: «Klaus Heer, was ist guter Sex?» Das hätten wir auch gern gewusst. Jeder Mensch hat seine originale, unverwechselbare Sexualität. Beglückenden Sex kann also nur ein Paar haben, wenn beide vergessen können, was sie je über Sex gehört und gelesen haben.
Keine Tipps? Ich gebe Denkanstösse. Zum Beispiel, suchend zu bleiben ist viel besser, als pornografischen Bildern nachzujagen …
… wo die Sexualität zur Leistung verkommen ist. Genau. Vermutlich gibt es keinen guten Sex ohne Entspannung. Entspannung vor dem Orgasmus.
Ist also guter Sex entspannter, spielerischer Sex? Im Buch beschreibe ich ausführlich, wie verlockend es sein kann, selbstvergessen den Kopf zu verlieren beim Sex.
Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen Sex ohne Liebe oder Liebe ohne Sex – was würden Sie wählen? Sex ohne Liebe geht nicht wirklich. Es ist verletzend, meist für beide. Und Liebe ohne Sex ist wie eine Knospe, deren Blüte nicht aufgeht.
Sex ist allgegenwärtig. In der Werbung, im Film, überall wird darüber geschwatzt. Zu Hause aber, zwischen Mann und Frau, wird nicht geredet. Woher dieses Schweigen? Unsere Ohren sind undurchlässig. Rede ich mit meinem Partner und merke, er will nicht wirklich hören, was ich zu sagen habe, dann verstumme ich. Männer verstummen schneller als Frauen.
Wie schafft man es, gern miteinander zu reden? Ob gern oder ungern – ich muss einfach hören, was mir mein Gegenüber sagen will, sonst gibt es keinen Austausch. Das ist anstrengend, aber entscheidend. Gelingt das Gespräch nicht mehr, stirbt die Beziehung ab.
Jeder redet, und keiner hört zu. Es ist wie in der Debattiersendung «Arena»: Alle sind nur daran interessiert, zu Wort zu kommen. Während der eine spricht, bereiten alle anderen schon ihre Gegenargumente vor. Die «Arena» ist das nationale Festival der verstopften Ohren. Genau so machen wirs zu Hause.
Wie lässt sich das ändern? Für meine Arbeit benütze ich diesen «Talking Stick», sehen Sie!
Das ist ein ganz normaler Holzstecken. Was machen Sie damit? Einzig wer ihn in der Hand hält, darf reden. Und der andere hört zu, bis er wieder an der Reihe ist mit Reden. Diese Kommunikationsfertigkeit haben die Sioux-Indianer entwickelt. Mit den Ohren lernt man einander kennen.
Warum will ich nicht hören, was dem anderen an mir nicht passt? Weil ich ein fehlerfreier Partner sein möchte. Im Grunde weiss ich doch, dass ich jeden Tag versage, denn kein Mensch ist vollkommen. Aber genau das will ich nicht hören. Statt zuzuhören, rechtfertige ich mich, schlage zurück oder erteile Ratschläge.
Und darunter leidet die Sexualität. Ja. Und diese Enttäuschung belastet wiederum das Gespräch.
Mit der Zeit erlahmt das Interesse füreinander. Gibt es auch eine natürliche Abnützung? Wer länger zusammenlebt und -liebt, erlebt das. Dass aber noch Leben da ist, merkt man, wenn man einander wieder mal länger als drei Atemzüge in die Augen schaut.
Einfach so? Sich mit echtem Interesse auf den Blick des anderen einlassen ist aufregend, verunsichernd, umwerfend, macht nicht nur Schmetterlinge im Bauch, sondern richtige kräftige Vögel. Das braucht Mut.
Und der fehlt. Ja. Man bewegt sich nur noch in der Komfortzone des Kontakts, und am Schluss ist man ein langweiliges Paar.
Warum denn? Aus Angst.
Wovor? Angst vor Zurückweisung, Enttäuschung, Grobheit. Im Laufe der Jahre sammeln sich unvermeidliche widrige Erfahrungen an. Es entsteht ein Munitionslager.
Wie entschärft man es? Man lässt es explodieren.
Tönt gefährlich. Harmlos ist es nicht. Fliegt der Pulverturm in die Luft, kann die Druckwelle die Beziehung zerstören. Doch es kann auch sein, dass sich das Paar in einer neuen Welt wiederfindet. Es lernt sich neu kennen. Das ist notwendig. Leben zwei Menschen lange zusammen, ist die Fremdheit grundsätzlich gefährdet.
Heisst das, Mann und Frau müssen sich die Fremdheit bewahren? Sie sind eingeladen, zu sehen, wie fremd sie sich in Wirklichkeit geblieben sind. Auch nach vielen Jahren. Einander wirklich verstehen – das ist genau genommen nicht möglich. Was uns verbinden könnte, ist die Neugier aufeinander.
Wie kann man neugierig bleiben auf einen Menschen, mit dem man schon jahrelang zusammengelebt hat? Wenn ich die Ohren offen halte, höre ich genügend Neues, Fremdes. Der Partner ist eine unerschöpfliche Quelle von Andersartigkeit. Das griechische Wort Eros lässt sich frei übersetzen mit Neugier. Bin ich nicht mehr neugierig, verschwindet auch der Eros.
Das wichtigste Sexualorgan sind also die Ohren. Offene Ohren. Offene Ohren sind verbunden mit einem offenen Herzen.
Was nützen offene Ohren, wenn man auf die 70 zugeht oder schon darüber hinweg ist? Was für eine Frage! Warme Herzen und lustvolle Haut sind keine Privilegien der Jugend. Sexuelle Reife hat weniger mit Frischfl eisch zu tun als mit Lebenserfahrung in der zweiten Lebenshälfte. Das ist eine Erkenntnis, die unvereinbar ist mit den allgegenwärtigen pornografischen Bildern. Die pornografie verödet die Fantasie und gefriert das Herz.
Ihr neues Buch trägt den Titel: «Klaus Heer, was ist guter Sex?» Das hätten wir auch gern gewusst. Jeder Mensch hat seine originale, unverwechselbare Sexualität. Beglückenden Sex kann also nur ein Paar haben, wenn beide vergessen können, was sie je über Sex gehört und gelesen haben.
Keine Tipps? Ich gebe Denkanstösse. Zum Beispiel, suchend zu bleiben ist viel besser, als pornografischen Bildern nachzujagen …
… wo die Sexualität zur Leistung verkommen ist. Genau. Vermutlich gibt es keinen guten Sex ohne Entspannung. Entspannung vor dem Orgasmus.
Ist also guter Sex entspannter, spielerischer Sex? Im Buch beschreibe ich ausführlich, wie verlockend es sein kann, selbstvergessen den Kopf zu verlieren beim Sex.
Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen Sex ohne Liebe oder Liebe ohne Sex – was würden Sie wählen? Sex ohne Liebe geht nicht wirklich. Es ist verletzend, meist für beide. Und Liebe ohne Sex ist wie eine Knospe, deren Blüte nicht aufgeht.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor