Neue Luzerner Zeitung vom 19. Januar 2006
Reibereien, Missverständnisse, sexuelle Frustration. In Klaus Heers Buch über langjährige Paarbeziehungen ist der Frühling längst vorbei.
INTERVIEW: ARNO RENGGLI
INTERVIEW: ARNO RENGGLI
Ihr Buch kann einen ziemlich erschrecken.
Klaus Heer (lacht): Das kann ich nachfühlen. Aber die Schilderungen der interviewten Menschen, die in ganz normalen Partnerschaften leben, zeigen einfach, was man zu erwarten hat, wenn der Beziehungsfrühling vorbei ist. Nichts ist gratis, ausser die erste Verliebtheit. Danach wird alles gebührenpflichtig. Für mich ist das eher tröstlich. Weil es die Erwartungen etwas herunterholt.
Dem einen oder anderen Ihrer Interviewpartner möchte man zurufen: «Geh endlich raus aus dieser Beziehung!»
Heer: Ja, von aussen sieht es oft zum Davonlaufen aus. Die Betroffenen selber kommen aber zu einem anderen Schluss. Man hat über lange Zeit halt viel zusammen erlebt und aufgebaut. Eine Trennung würde bedeuten, dass ein ganzer Kosmos kaputt ginge, nicht nur die Beziehung, auch im Umfeld.
Was frappiert: Langjährige Partner erscheinen einander immer rätselhafter. Man versteht immer weniger, fühlt sich selber immer weniger verstanden.
Heer: Dabei müsste man sich doch immer besser kennen. Das Problem liegt in der Kommunikation, man hat bei Konflikten eine Beisshemmung, weil die Themen immer wichtiger und abgründiger werden. Dadurch verschweigt man einander auch immer Wichtigeres.
Auf der anderen Seite scheint die langjährige Beziehung auch ein Freipass zu sein, an Kleinigkeiten zu nörgeln.
Heer: Erschreckend ist zuweilen der Verlust an elementarem Respekt zwischen den Paaren. Der Anstand, der im Umgang mit allen anderen selbstverständlich ist, scheint hier nicht mehr zu gelten. Das geht manchmal bis zur psychischen und physischen Gewalt, die auf dem Nährboden der Emotionalität der Beziehung gedeiht. Dauernde Nähe und stressige Enge tragen das ihre dazu bei. Nebst dem fatalen Irrtum, dass der Partner an allem schuld sei.
Erschreckend ist, dass die Verbesserungsschritte fast nie nachhaltig sind.
Heer: Das ständige Auf und Ab hat auch mich beeindruckt. Happy Ends gibts offenbar nur im Film.
Distanz und Nähe ist ebenfalls ständig Thema. Auch hier haben die Partner oft sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Heer: Nähe ist etwas Heikles und bekommt oft ein Übergewicht. Dabei ist die Liebe doch zweipolig: Der Abstand gehört unbedingt dazu. Das Loslassen, das Gehenlassen auch.
Punkto Sexualität läuft es offenbar in fast keiner langen Beziehung mehr gut. Wobei die Betroffenen ihre sexuellen Bedürfnisse ja nicht verloren haben.
Heer: Der Sex ist tatsächlich der allerschwierigste Punkt. Ich habe in 30 Jahren Tätigkeit als Paarberater nur eine Handvoll Paare kennen gelernt, deren Sexualität sprühend geblieben ist. Sexuelle Anziehung hat ein ach so kurzes Verfallsdatum!
Alle Interviewten berichten, dass die Bedürfnisse innerhalb ihrer Beziehung sehr unterschiedlich sind. Anscheinend passt kaum ein Paar sexuell zusammen.
Heer: Leider gelingt es den meisten Paaren nicht, diesen Unterschied erotisch zu nutzen. Die gängige Doktrin lautet: Die Harmonie sorgt dafür, dass es gut läuft. Die Differenz hat einen sehr schlechten Ruf. Dabei ist es genau die Differenz, der Unterschied, welche die Anziehung ausmacht und sexuelle Energie in sich birgt.
Klaus Heer (lacht): Das kann ich nachfühlen. Aber die Schilderungen der interviewten Menschen, die in ganz normalen Partnerschaften leben, zeigen einfach, was man zu erwarten hat, wenn der Beziehungsfrühling vorbei ist. Nichts ist gratis, ausser die erste Verliebtheit. Danach wird alles gebührenpflichtig. Für mich ist das eher tröstlich. Weil es die Erwartungen etwas herunterholt.
Dem einen oder anderen Ihrer Interviewpartner möchte man zurufen: «Geh endlich raus aus dieser Beziehung!»
Heer: Ja, von aussen sieht es oft zum Davonlaufen aus. Die Betroffenen selber kommen aber zu einem anderen Schluss. Man hat über lange Zeit halt viel zusammen erlebt und aufgebaut. Eine Trennung würde bedeuten, dass ein ganzer Kosmos kaputt ginge, nicht nur die Beziehung, auch im Umfeld.
Was frappiert: Langjährige Partner erscheinen einander immer rätselhafter. Man versteht immer weniger, fühlt sich selber immer weniger verstanden.
Heer: Dabei müsste man sich doch immer besser kennen. Das Problem liegt in der Kommunikation, man hat bei Konflikten eine Beisshemmung, weil die Themen immer wichtiger und abgründiger werden. Dadurch verschweigt man einander auch immer Wichtigeres.
Auf der anderen Seite scheint die langjährige Beziehung auch ein Freipass zu sein, an Kleinigkeiten zu nörgeln.
Heer: Erschreckend ist zuweilen der Verlust an elementarem Respekt zwischen den Paaren. Der Anstand, der im Umgang mit allen anderen selbstverständlich ist, scheint hier nicht mehr zu gelten. Das geht manchmal bis zur psychischen und physischen Gewalt, die auf dem Nährboden der Emotionalität der Beziehung gedeiht. Dauernde Nähe und stressige Enge tragen das ihre dazu bei. Nebst dem fatalen Irrtum, dass der Partner an allem schuld sei.
Erschreckend ist, dass die Verbesserungsschritte fast nie nachhaltig sind.
Heer: Das ständige Auf und Ab hat auch mich beeindruckt. Happy Ends gibts offenbar nur im Film.
Distanz und Nähe ist ebenfalls ständig Thema. Auch hier haben die Partner oft sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Heer: Nähe ist etwas Heikles und bekommt oft ein Übergewicht. Dabei ist die Liebe doch zweipolig: Der Abstand gehört unbedingt dazu. Das Loslassen, das Gehenlassen auch.
Punkto Sexualität läuft es offenbar in fast keiner langen Beziehung mehr gut. Wobei die Betroffenen ihre sexuellen Bedürfnisse ja nicht verloren haben.
Heer: Der Sex ist tatsächlich der allerschwierigste Punkt. Ich habe in 30 Jahren Tätigkeit als Paarberater nur eine Handvoll Paare kennen gelernt, deren Sexualität sprühend geblieben ist. Sexuelle Anziehung hat ein ach so kurzes Verfallsdatum!
Alle Interviewten berichten, dass die Bedürfnisse innerhalb ihrer Beziehung sehr unterschiedlich sind. Anscheinend passt kaum ein Paar sexuell zusammen.
Heer: Leider gelingt es den meisten Paaren nicht, diesen Unterschied erotisch zu nutzen. Die gängige Doktrin lautet: Die Harmonie sorgt dafür, dass es gut läuft. Die Differenz hat einen sehr schlechten Ruf. Dabei ist es genau die Differenz, der Unterschied, welche die Anziehung ausmacht und sexuelle Energie in sich birgt.
In der Sexualität scheinen eher die Frauen experimentierfreudiger zu sein, derweil die Männer innerhalb der Beziehung mit den Jahren sehr brav werden.
Heer: Männer sind rasch überfordert, wenn die eigene Partnerin mal sexuell aus dem Busch kommt. Viele stellen sich unter «gutem Sex» etwas Konfektioniertes vor, das massgeblich von der Pornografie mitbestimmt ist. Frauen möchten Sexualität lieber zu einem ganz persönlichen Erlebnis machen.
Die meisten Paare verlernen mit den Jahren auch, über Sex zu reden. Etwas, was ihnen früher leicht gefallen ist.
Heer: Viele haben nur guten Sex, so lange sie verliebt sind. Dann fällt es auch leicht, darüber zu reden. Sobald sich Trübungen einstellen, stockt die Redseligkeit. Beides ist zu erwarten, die Trübungen und das ängstliche Verstummen. Wer unter Reden aber primär Probleme wälzen versteht, gerät sofort in eine negative Spirale.
Was kann man also tun?
Heer: Jedes Paar – fast jedes! – ist auf irgendeine Weise noch körperlich verbunden. Es sollte von dem ausgehen, was für sie beide schön ist. Das lässt sich geniessen und entwickeln. Andererseits muss man von Zeit zu Zeit klären, ob die Sexualität wirklich noch ein so zentrales Element ist wie am Anfang. Vielleicht hat ein neues Bindeglied sie abgelöst, etwa Solidarität, Teamlust, Freundschaft. Sexualität gehört nicht unbedingt so zur glücklichen Ehe wie die Hefe zum Brot. Zudem ist es im Gesamtzusammenhang der Natur logisch, dass die Sexualität nach einer gewissen Zeit ihre Aufgabe erfüllt hat.
Viele der Interviewten finden sich aber nicht damit ab und gehen zuweilen oder sogar systematisch fremd.
Heer: Die Sehnsucht nach Erotik ist eine mächtige Kraft. Treue ist darum extrem schwierig. Ebenso extrem schwierig wie die Untreue. Selbst wenn beide mit Seitensprüngen einverstanden sind, bin ich kaum je einem Paar begegnet, bei dem es wirklich funktioniert hätte. Und muss man die Seitensprünge verheimlichen, wird das aufwändig und auch knifflig.
Was halten Sie vom Konzept der seriellen Monogamie? Man hat wechselnde Beziehungen, die nie alt werden, innerhalb derer man aber treu ist?
Heer: Die serielle Monogamie steht in grundlegendem Widerspruch zur Liebe. Diese will nichts als «immer und ewig»! Und versucht es immer wieder. Serielle Monogamie hingegen bringt die serielle Enttäuschung mit sich.
Sie sind auch seit 25 Jahren verheiratet. Hand aufs Herz: Sie sind nicht zufällig selber einer Ihrer Interviewpartner?
Heer (lacht): Nein, nein, obwohl ich eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt habe, meine Geschichte in einem Kapitel darzustellen – anonym wie alle anderen natürlich. Aber es war nicht nötig: Vieles in dem Buch kommt mir selber nur allzu bekannt vor.
Heer: Männer sind rasch überfordert, wenn die eigene Partnerin mal sexuell aus dem Busch kommt. Viele stellen sich unter «gutem Sex» etwas Konfektioniertes vor, das massgeblich von der Pornografie mitbestimmt ist. Frauen möchten Sexualität lieber zu einem ganz persönlichen Erlebnis machen.
Die meisten Paare verlernen mit den Jahren auch, über Sex zu reden. Etwas, was ihnen früher leicht gefallen ist.
Heer: Viele haben nur guten Sex, so lange sie verliebt sind. Dann fällt es auch leicht, darüber zu reden. Sobald sich Trübungen einstellen, stockt die Redseligkeit. Beides ist zu erwarten, die Trübungen und das ängstliche Verstummen. Wer unter Reden aber primär Probleme wälzen versteht, gerät sofort in eine negative Spirale.
Was kann man also tun?
Heer: Jedes Paar – fast jedes! – ist auf irgendeine Weise noch körperlich verbunden. Es sollte von dem ausgehen, was für sie beide schön ist. Das lässt sich geniessen und entwickeln. Andererseits muss man von Zeit zu Zeit klären, ob die Sexualität wirklich noch ein so zentrales Element ist wie am Anfang. Vielleicht hat ein neues Bindeglied sie abgelöst, etwa Solidarität, Teamlust, Freundschaft. Sexualität gehört nicht unbedingt so zur glücklichen Ehe wie die Hefe zum Brot. Zudem ist es im Gesamtzusammenhang der Natur logisch, dass die Sexualität nach einer gewissen Zeit ihre Aufgabe erfüllt hat.
Viele der Interviewten finden sich aber nicht damit ab und gehen zuweilen oder sogar systematisch fremd.
Heer: Die Sehnsucht nach Erotik ist eine mächtige Kraft. Treue ist darum extrem schwierig. Ebenso extrem schwierig wie die Untreue. Selbst wenn beide mit Seitensprüngen einverstanden sind, bin ich kaum je einem Paar begegnet, bei dem es wirklich funktioniert hätte. Und muss man die Seitensprünge verheimlichen, wird das aufwändig und auch knifflig.
Was halten Sie vom Konzept der seriellen Monogamie? Man hat wechselnde Beziehungen, die nie alt werden, innerhalb derer man aber treu ist?
Heer: Die serielle Monogamie steht in grundlegendem Widerspruch zur Liebe. Diese will nichts als «immer und ewig»! Und versucht es immer wieder. Serielle Monogamie hingegen bringt die serielle Enttäuschung mit sich.
Sie sind auch seit 25 Jahren verheiratet. Hand aufs Herz: Sie sind nicht zufällig selber einer Ihrer Interviewpartner?
Heer (lacht): Nein, nein, obwohl ich eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt habe, meine Geschichte in einem Kapitel darzustellen – anonym wie alle anderen natürlich. Aber es war nicht nötig: Vieles in dem Buch kommt mir selber nur allzu bekannt vor.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor