Dr. Klaus Heer

Neue Luzerner Zeitung vom 20. Juni 2007
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Liebe mit Tonspur

In den Betten der meisten langjährigen Paare geht es wortkarg zu und her. Paartherapeut Klaus Heer rät zu mehr erotischer Sprache, aber ohne Schmutz.
 
VON MARKUS FÖHN
Klaus Heer, in Ihrem Buch «WonneWorte» schreiben Sie: Ohne Sprache wird das Bett zur Brache. Warum?
Klaus Heer: Sehen Sie, kaum jemand wäre begeistert von der Aussicht, Sex zu haben wie ein Tier. Wir sind Menschen, wir sind zu mehr fähig als bloss zu stummer Dienstleistungssexualität. Dennoch läuft es bei Paaren, die lange zusammen sind, in den meisten Fällen eben doch darauf hinaus. Nur noch schnell absamen, wortlos, abends, nach «10 vor 10». Wenn überhaupt.

Der Gebrauch der Sprache ermöglicht also eine beglückendere Sexualität?
Heer: Auf jeden Fall. Gute Sexualität geht nur über die Sprache. Reden steigert die Erregung und wirkt gleichzeitig entspannend. Zudem sorgt die Sprache dafür, dass man nicht nur untenrum verbunden ist, sondern auch obenrum – in Herz- und Augenhöhe. Sex wird so nicht zu einer immergleichen Standardverrichtung, man kann in neue Gebiete vorstossen. Und somit die Sexualität auch in langjährigen Beziehungen überlebensfähig machen.

Was heisst das jetzt? Reden beim Sex um jeden Preis? Es gibt Leute, die reden als ablenkend oder störend empfinden.
Heer: Man muss nicht reden um jeden Preis. Wenn ich nichts sagen will oder nichts zu sagen habe, dann muss ich das auch nicht. Aber ich muss die Freiheit dazu haben.

Sich nicht zurückhalten also, wenn man Empfindungen und Bedürfnisse ausdrücken möchte.
Heer: Der Mensch drückt all seine Empfindungen und Eindrücke mit Worten aus, sogar ein Sonnenuntergang entlockt ihm mindestens ein «oh». Aber was sich in den Betten vieler langjähriger Paare abspielt, ist eine stumme Pantomimenübung. Vielleicht ruft die Frau «aua», wenn sich ihr Mann versehentlich mit dem linken Ellbogen auf ihrer rechten Brust abstützt, das ist alles.

Was soll man sich eigentlich sagen?
Heer: Das können Kosewörter sein, spielerisches Gemurmel, Fragen, die Neugier verraten. Alles, was einem gefällt, was die Wonne ausdrückt und den Partner nicht verletzt.

Die Vertonung des Geschlechtsakts.
Heer: Genau. Das fleischliche Tun bekommt eine Tonspur mit Musik.

Und wer das nicht kann? Wer keine Worte findet?
Heer: Jedem Menschen, der sich dafür interessiert, fällt etwas ein, um sein Wohlbehagen und seine Erregung auszudrücken. Viele sind einfach zu verklemmt dazu. Aber jeder kann das, ausser, er ist völlig vertrocknet. Oder er erwartet von der Sexualität tatsächlich nicht mehr als bloss den routinierten arterhaltenden Ablauf.
Was halten Sie von «Dirty Talking», von Ausdrücken also, wie sie in Pornofilmen Verwendung finden?
Heer: Nichts. Sich bei Pornofilmen ein erotisches Vokabular zu holen und die Frau daheim dann als «verdammtes Luder» zu titulieren, das kommt nicht gut. Die Wörter und Sätze der Pornoindustrie sind brutal-bieder und entspringen der Fantasie einiger weniger geschäftstüchtiger Männer.

Ein Fantasieprodukt, hergestellt von Männern für Männer …
Heer: Genau. Wäre interessant, was für ein Vokabular herauskäme, wenn Frauen Pornofilme machen würden.

Sie plädieren für einen lustvollen Umgang mit Kosenamen für Geschlechtsteile. In Ihrem Buch finden sich zahllose Synonyme für Penis und Vagina. Warum sollen diese Kosenamen so wichtig sein?
Heer: Man braucht nicht Dutzende von Synonymen, aber mindestens ein handliches Wort sollte man haben für die Geschlechtsteile. Und für das, was man miteinander tut. Kosenamen sind eine spielerische Möglichkeit. Noch besser, wenn ein Paar sich die Kosenamen gemeinsam ausdenkt. Das ist ein Spiel, und Sexualität lebt vom Spiel.

Woher kommt diese Wortkargheit vieler Paare, wenn es um Sexualität geht?
Heer: Die beiden Menschen, die zusammen sind, glauben irgendwann, sie kennen ihr Gegenüber perfekt und es gebe nichts mehr zu reden. Dabei gäbe es Gesprächsstoff genug – schliesslich haben beide unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Wünsche. Aber sie verlernen es, miteinander zu reden. Besonders das Thema Sexualität wird oft ausgeklammert. Häufig aus Angst, dem Gegenüber zu viel zuzumuten, es zu verletzen, alles nur noch schlimmer zu machen. Und es stimmt: Wenn man sexuelle Probleme falsch thematisiert, können sie noch grösser werden.

Wie thematisiert man sie denn richtig?
Heer: Indem man einen positiven Ansatz sucht. Nicht mit Vorwürfen und Kritik kommt, sondern von dem ausgeht, was stimmig ist. Zum Beispiel: Es war schön, wie du mich gestern gestreichelt hast. Jeder hört gern, dass er ein guter Liebhaber ist. Man tappt in eine Falle, wenn man sich stets nur auf das Negative konzentriert. Wie es auch eine Falle ist, Sex nur zulassen zu wollen, wenn alles perfekt stimmt.

Wie meinen Sie das?
Heer: Viele Menschen machen sexuelle Begegnungen davon abhängig, dass das Beziehungsklima mild und harmonisch ist. Sie verlangen eine Klimakonferenz, die dann gewöhnlich scheitert oder gar nicht zustande kommt. Solche Paare verlieren sich in endlosen Grabenkämpfen und verpassen das Schönste, das ihnen das Leben geschenkt hat: die hautnahe Liebe.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor