Bärnerbär vom 14. April 2020
«Die Lage drängt uns dazu, den Alltag neu zu erfinden»
Der Lockdown bedeutet Aus- nahmezustand – auch für Beziehungen. Paartherapeut Klaus Heer erklärt, wie Paare die Corona-Krise richtig meistern.
INTERVIEW: YVES SCHOTT
INTERVIEW: YVES SCHOTT
Wie wirkt sich das Coronavirus auf unser Liebesleben aus?
Im Moment sind sich praktisch alle rund um den Globus einig: Wir unterbrechen! Also unterbrechen wir alle unseren Alltag schlagartig und fast total. Wir bleiben alle zuhause. Dort versuchen wir, ohne diesen vertrauten Alltag zurechtzukommen.
Geht das?
Mir scheint, je länger der kollektive Hausarrest dauert, umso mehr Mühe macht der Corona-Alltag. Dem Liebesleben, wie Sie das nennen, fehlt die Luft zum Schnaufen. Covid-19 gilt ja auch als Lungenkrankheit.
Die Liebe braucht also gute Lungen.
Genau das ist es, was wir jetzt merken, wo wir behördlich verordnet aufeinanderhocken, paarweise. Oder familienmässig. Und das auf nicht absehbare Zeit. Erst jetzt stellen wir fest, wie gut wir eigentlich dran waren mit unserem hundsgewöhnlichen Alltag.
Was war denn so toll an unserem Vor-Corona-Alltag? Mir ist immer schon aufgefallen, dass viele Paare den Charme ihres Alltags übersehen haben. Sie gaben ihm die Schuld, dass ihre Liebe geschrumpft sei. Dabei war er einfach gut durchmischt mit Kontakten nach aussen. Mit vielfältigen Inputs von draussen. Mit steter Abwechslung von Abstand und Nähe, vor allem weil die zwei einen Grossteil ihres wachen Tages getrennt waren voneinander.
Und jetzt?
Jetzt ist Beziehungsghetto! Gewissermassen ein trauriger Triumph von Monogamie und Monotonie. Aber Spass beiseite! Der Ernst der Lage drängt uns, unseren zweisamen Isolationsalltag neu zu erfinden.
Woran denken Sie?
An die neue Kunst des Liebens. Wir müssen hier ganz unten anfangen. Bei der Frage: Wie schaffen wir es, einander überhaupt auszuhalten? Nicht dass sich uns diese Frage «früher» überhaupt nicht gestellt hätte. Aber jetzt wird die Antwort möglicherweise brutal knifflig.
Inwiefern?
Nähe mutiert jetzt leicht zu Reibung. Viele Gründe und Hintergründe können das befeuern. Zum Beispiel weil wir diese Mutation bereits «vorher» nicht durchschaut und richtig verstanden haben. Oder weil wir uns schon immer gegenseitig zu Machtkämpfen haben verführen lassen. Und weil die Ängste, die im Moment überall in der Luft hängen, zusammen mit Ärger einen mühsamen Mix ergeben. Voll verständlich ist doch, wenn uns beispielsweise Homeoffice, Homeschooling, enge Wohnung und Geldsorgen stressen und bis zum Äussersten schlauchen.
Haben Paare eine Chance, zügig einen neuartigen Lockdown-Alltag auszutüfteln? Ja, klar! Wir starten, wie gesagt, ganz bescheiden. Indem wir uns auf «ortsübliche Freundlichkeit» einigen. Das heisst, wir begegnen einander ziemlich genau so, wie wir dem Nachbarn von nebenan begegnen. Nicht mehr und nicht weniger. Und wir verpflichten uns zusätzlich, einander jedes Mal «ortsüblich freundlich» an unser Abkommen zu erinnern, wenn es eine*r von uns vergessen haben sollte.
Geht das?
Mir scheint, je länger der kollektive Hausarrest dauert, umso mehr Mühe macht der Corona-Alltag. Dem Liebesleben, wie Sie das nennen, fehlt die Luft zum Schnaufen. Covid-19 gilt ja auch als Lungenkrankheit.
Die Liebe braucht also gute Lungen.
Genau das ist es, was wir jetzt merken, wo wir behördlich verordnet aufeinanderhocken, paarweise. Oder familienmässig. Und das auf nicht absehbare Zeit. Erst jetzt stellen wir fest, wie gut wir eigentlich dran waren mit unserem hundsgewöhnlichen Alltag.
Was war denn so toll an unserem Vor-Corona-Alltag? Mir ist immer schon aufgefallen, dass viele Paare den Charme ihres Alltags übersehen haben. Sie gaben ihm die Schuld, dass ihre Liebe geschrumpft sei. Dabei war er einfach gut durchmischt mit Kontakten nach aussen. Mit vielfältigen Inputs von draussen. Mit steter Abwechslung von Abstand und Nähe, vor allem weil die zwei einen Grossteil ihres wachen Tages getrennt waren voneinander.
Und jetzt?
Jetzt ist Beziehungsghetto! Gewissermassen ein trauriger Triumph von Monogamie und Monotonie. Aber Spass beiseite! Der Ernst der Lage drängt uns, unseren zweisamen Isolationsalltag neu zu erfinden.
Woran denken Sie?
An die neue Kunst des Liebens. Wir müssen hier ganz unten anfangen. Bei der Frage: Wie schaffen wir es, einander überhaupt auszuhalten? Nicht dass sich uns diese Frage «früher» überhaupt nicht gestellt hätte. Aber jetzt wird die Antwort möglicherweise brutal knifflig.
Inwiefern?
Nähe mutiert jetzt leicht zu Reibung. Viele Gründe und Hintergründe können das befeuern. Zum Beispiel weil wir diese Mutation bereits «vorher» nicht durchschaut und richtig verstanden haben. Oder weil wir uns schon immer gegenseitig zu Machtkämpfen haben verführen lassen. Und weil die Ängste, die im Moment überall in der Luft hängen, zusammen mit Ärger einen mühsamen Mix ergeben. Voll verständlich ist doch, wenn uns beispielsweise Homeoffice, Homeschooling, enge Wohnung und Geldsorgen stressen und bis zum Äussersten schlauchen.
Haben Paare eine Chance, zügig einen neuartigen Lockdown-Alltag auszutüfteln? Ja, klar! Wir starten, wie gesagt, ganz bescheiden. Indem wir uns auf «ortsübliche Freundlichkeit» einigen. Das heisst, wir begegnen einander ziemlich genau so, wie wir dem Nachbarn von nebenan begegnen. Nicht mehr und nicht weniger. Und wir verpflichten uns zusätzlich, einander jedes Mal «ortsüblich freundlich» an unser Abkommen zu erinnern, wenn es eine*r von uns vergessen haben sollte.
Und wie lange soll diese Vereinbarung in Kraft bleiben?
Auch das beschliessen wir verbindlich. Und zwar auf Papier. Es ist eine Übereinkunft, ein wichtiger und gewichtiger Vertrag. Vorerst mit einer Laufzeit von zwei Tagen zum Beispiel. Dann verlängerbar. Wenn möglich.
Und ein zweiter Schritt ...
...Augenblick! Damit dieser erste Schritt überhaupt in Gang kommen kann, müssen wir miteinander verhandeln. Liebe ist Verhandlungssache! Liebe heisst auf deutsch Kompromiss. Und gemeinsamer Entscheid. Sehr romantisch ist das zwar nicht. Aber ein Paar, das geschmeidig und erfolgreich zu verhandeln versteht, braucht weder zu streiten noch zu machtkämpfeln. Es kann sich unaufgeregt und warmen Herzens lieben.
Jetzt Ihr zweiter Schritt!
Gerne. Importieren Sie das Social Distancing in Ihre Liebe. Fahnden Sie gemeinsam sorgfältig nach Möglichkeiten, wie Sie deutlich mehr Abstand zwischen Ihnen schaffen können. Wo Sie das «Lass mich in Ruhe, bitte!» pflegen werden. Geben Sie Ihre Suche nicht auf, bevor Sie fündig und kreativ werden.
Sie belieben zu scherzen, Herr Heer ...
Wissen Sie, in «normalen» Zeiten kamen viele Paare zu mir und klagten, dass ihnen die «Nähe» fehle. Bei genauerem Hinsehen stellte sich häufig das Gegenteil heraus: Es mangelte an Distanz, an Spielraum. Die Liebe kann nicht atmen, wenn der Abstand fehlt. Jetzt, unter dem erzwungenen Nähe-Regime, müssen wir mit aller Kraft um Distanz ringen, scheint mir. Sonst geht die Anziehung flöten.
Und dann steigt die Gefahr von häuslicher Gewalt, nicht wahr? Ach, da bin ich unsicher. Viele Journalist*innen mögen Hype-Themen. Im Moment eben häusliche Gewalt, die offenbar in den engen vier Wänden wuchert. Oder die boomenden Scheidungen, wenn dann die Normalität wieder einkehrt. Aber das sind bisher eher Vermutungen. Allerdings, je länger sich der Notstand hinzieht, umso ernster könnte die Paar-Not tatsächlich werden.
Was können wir gegen eine solche Entwicklung tun? Den Schritt drei. Wir müssen uns klar machen, dass körperlicher Gewalt praktisch immer gemeinsame psychische Gewalt vorausgeht. Für gegenseitiges beziehungsinternes Mobbing müssen wir also einen feinen Riecher ausbilden.
Das heisst?
Ich muss es unbedingt merken, wenn fieses, hässliches Zeug unbedacht aus meinem Mund schiesst. Wie zum Beispiel: «Das stimmt überhaupt nicht!», oder «Du spinnst!» Von solchen Gewaltsätzen gibt es tausende, und ich beachte sie nicht. Das ist Hochrisiko-Verhalten. Aber Hand auf mein Herz: Der andere ist nicht mein Intimfeind. Wir brauchen einander jetzt. Wie noch nie.
Und ein zweiter Schritt ...
...Augenblick! Damit dieser erste Schritt überhaupt in Gang kommen kann, müssen wir miteinander verhandeln. Liebe ist Verhandlungssache! Liebe heisst auf deutsch Kompromiss. Und gemeinsamer Entscheid. Sehr romantisch ist das zwar nicht. Aber ein Paar, das geschmeidig und erfolgreich zu verhandeln versteht, braucht weder zu streiten noch zu machtkämpfeln. Es kann sich unaufgeregt und warmen Herzens lieben.
Jetzt Ihr zweiter Schritt!
Gerne. Importieren Sie das Social Distancing in Ihre Liebe. Fahnden Sie gemeinsam sorgfältig nach Möglichkeiten, wie Sie deutlich mehr Abstand zwischen Ihnen schaffen können. Wo Sie das «Lass mich in Ruhe, bitte!» pflegen werden. Geben Sie Ihre Suche nicht auf, bevor Sie fündig und kreativ werden.
Sie belieben zu scherzen, Herr Heer ...
Wissen Sie, in «normalen» Zeiten kamen viele Paare zu mir und klagten, dass ihnen die «Nähe» fehle. Bei genauerem Hinsehen stellte sich häufig das Gegenteil heraus: Es mangelte an Distanz, an Spielraum. Die Liebe kann nicht atmen, wenn der Abstand fehlt. Jetzt, unter dem erzwungenen Nähe-Regime, müssen wir mit aller Kraft um Distanz ringen, scheint mir. Sonst geht die Anziehung flöten.
Und dann steigt die Gefahr von häuslicher Gewalt, nicht wahr? Ach, da bin ich unsicher. Viele Journalist*innen mögen Hype-Themen. Im Moment eben häusliche Gewalt, die offenbar in den engen vier Wänden wuchert. Oder die boomenden Scheidungen, wenn dann die Normalität wieder einkehrt. Aber das sind bisher eher Vermutungen. Allerdings, je länger sich der Notstand hinzieht, umso ernster könnte die Paar-Not tatsächlich werden.
Was können wir gegen eine solche Entwicklung tun? Den Schritt drei. Wir müssen uns klar machen, dass körperlicher Gewalt praktisch immer gemeinsame psychische Gewalt vorausgeht. Für gegenseitiges beziehungsinternes Mobbing müssen wir also einen feinen Riecher ausbilden.
Das heisst?
Ich muss es unbedingt merken, wenn fieses, hässliches Zeug unbedacht aus meinem Mund schiesst. Wie zum Beispiel: «Das stimmt überhaupt nicht!», oder «Du spinnst!» Von solchen Gewaltsätzen gibt es tausende, und ich beachte sie nicht. Das ist Hochrisiko-Verhalten. Aber Hand auf mein Herz: Der andere ist nicht mein Intimfeind. Wir brauchen einander jetzt. Wie noch nie.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor