Dr. Klaus Heer

Grosseltern-Magazin 5/2020
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«Liebes Leben»

Die Liebe findet einem. Oder sollte man sie doch besser suchen? Und wie funktioniert das online? Ein Dossier übers Verlieben in der dritten Lebensphase.

VON GERALDINE CAPAUL
Patrizia hatte eine Brieffreundin. Es war eine entfernte Verwandte, sie hiess Esther und lebte in Neuseeland. Die beiden Frauen tauschten sich rege aus. Aber Esther wurde krank und starb schliesslich, einen Monat bevor auch Patrizias Mann starb. Patrizia und Esthers Mann hielten weiterhin Briefkontakt, gaben sich über die Distanz Kraft. Die Beziehung intensivierte sich, sie besuchten sich gegenseitig, verliebten sich und heirateten. (Namen geändert.) Das ist die sehr kurz zusammengefasste Liebesgeschichte einer «Grosseltern»-Leserin, die zeigt: Die Liebe findet auch im Alter oft auf wundersame Weise ihren Weg. Und nicht immer legt sie dabei so verschlungene Strecken zurück, wie in diesem Beispiel. Aber was, wenn sie einen nicht findet? Sollte man sich dann aktiv auf die Suche machen? Und wie merkt man, dass man bereit dafür ist? Gerade auch, wenn man vielleicht schon durch eine jahrzehntelange Beziehung gelebt und geliebt hat, die durch Tod oder Scheidung zu Ende gegangen ist.

«Sich neu verlieben wollen ist keine gute Idee. Wer so denkt und sucht, ist bereits von überzogenen Erwartungen getrieben. Und die Enttäuschung folgt sogleich», sagt der Schweizer Paartherapeut und Psychologe Klaus Heer. «Voraussetzung für ein neues Beziehungsabenteuer ist ein freies Hirn und ein offenes Herz.» Ist das der Fall – das Herz also offen –, kann man der Liebe überall begegnen. Entweder im realen Leben, indem man sich vor die eigene Haustüre wagt und aktiv ist, zum Beispiel im Freundeskreis, im Freizeitclub, in der Oper oder beim Jassen. Oder mit Hilfe von Kontaktanzeigen in Zeitschriften oder im Internet.
Welches Online-Dating-Portal eignet sich?

SOPHIA HEINRICHMEYER von Zu-zweit.de:
«Wer über 55 ist und eine ernsthafte Beziehung sucht, sollte auf Angebote zurückgreifen, die speziell auf diese Altersgruppe zugeschnitten sind. In der Schweiz sind das:
Kultiviertesingles.ch
Date50.ch
50plus-treff.ch

Das Gute an diesen Portalen: Hier können sich Singles über 55 entspannt umsehen, ohne viele Mitglieder wegen des Altersunterschieds ausschliessen zu müssen. Alle Plattformen sind übersichtlich gestaltet und damit sehr benutzerfreundlich. Kultiviertesingles.ch bietet zudem einen wissenschaftlichen Persönlichkeitstest – somit wird es nicht dem Zufall überlassen, ob zwei Personen auch charakterlich zusammenpassen.»

Die Plattform Zu-zweit.de hat sich auf Online-Dating-Portale spezialisiert und hilft einem dabei, das für sich passende Angebot zu finden. Zudem haben ihre Betreiber eine Studie zum Schweizer Online-Dating-Markt herausgegeben. Laut Sophia Heinrichmeyer von Zu-zweit.de ist die Altersgruppe über 55 im Schnitt und unter Einbezug aller Portale am schwächsten vertreten. Tendenz jedoch steigend. Betrachtet man spezifischere Angebote, vor allem Partnervermittlungen und spezielle Singlebörsen für Personen über 50, ist der Anteil natürlich viel höher. Am schwächsten ist die Generation 55+ auf Dating-Apps vertreten, die übers Smartphone bedient werden, wie zum Beispiel Tinder. «Natürlich sind auch auf Tinder noch Singles über 55 zu finden – die Chance, dass sich hier jedoch eine ernsthafte Beziehung zwischen zwei Gleichaltrigen ergibt, ist eher gering», sagt Heinrichmeyer.
«Zum einen ist die Auswahl vor allem in kleineren Städten sehr überschaubar, zum andern sind die Absichten bei Tindernutzern nicht immer durchsichtig.» Wer sich also ganz klar eine feste Beziehung wünscht, sollte eine darauf ausgerichtete Plattform in Betracht ziehen (Box). Laut dem Bundesamt für Statistik haben sich 17,9 Prozent der Paare im Alter zwischen 55 und 80 Jahren, die in den letzten Jahren eine Beziehung eingegangen sind, über Bekannte kennengelernt. Und 21,4 Prozent über eine Partnerbörse, eine Dating-App oder ein soziales Netzwerk.
Zahlen vom Bundesamt für Statistik 2018

Bei den 55–64-jährigen Frauen sind 26,8 Prozent alleinstehend, bei den 65–80-jährigen Frauen sind es 37,8 Prozent. Bei den 55–64-jährigen Männern sind 16 Prozent single, bei den 65–80-Jährigen sind es 17,8 Prozent.

Diese Abweichungen zwischen Frauen und Männern lassen sich unter anderem mit den Altersunterschieden in den Paaren erklären – bei den meisten Paaren (59 Prozent) ist der Mann älter als die Frau – sowie mit der höheren Lebenserwartung der Frauen.

Menschen haben gern Menschen um sich. Das dürfte vielen von uns spätestens in Zeiten des Social Distancings bewusst geworden sein. Verlieben im Alter hat den wesentlichen Vorteil, dass man auf Beziehungserfahrungen zurückgreifen kann. «Ein älterer Mensch weiss, dass er bei jeder neuen Liebe sich selbst mitnimmt», sagt Klaus Heer. «Dass also das Gelingen einer neuen Partnerschaft zum grössten Teil von ihm selbst abhängt. Und er wird zum Mindesten vermuten, worauf es bei dem neuen Anlauf ankommen könnte, damit es nicht schiefgeht.» Das ist aber nicht gleichzusetzen mit allzu fixen Vorstellungen, die man eventuell haben könnte. Mit denen steht man sich selber im Weg. Vielmehr verweist Klaus Heer darauf, dass «das langsame Näherrücken des Lebensendes einen auch etwas milder und flexibler stimmen könnte. Hinter manch Unvorhergesehenem verbirgt sich möglicherweise ein chancenreiches Geschenk.» Trotz aller Offenheit für Überraschendes: Es ist gut, gewisse Dinge zu klären. Dabei geht es vor allem um grundsätzliche Gedanken, wohin sich die Romanze entwickeln soll. Die Perspektiven der sich anbahnenden Beziehung müssten mehr oder weniger konkret zur Sprache kommen. «Manche ältere und alte Männer zum Beispiel hegen im Hinterkopf die Idee, sich längerfristig ihre höheren Pflegestufen sichern zu wollen. Und Frauen suchen vielleicht eine materielle Versorgung. Alles kein Problem – vorausgesetzt, man spielt mit offenen Karten», sagt Klaus Heer. Und das ist ja das Schöne: alles kann, nichts muss: Heirat, Fernbeziehung, Freundschaft, Affäre ... Dass man nicht mehr das halbe Leben vor sich hat, beeinflusst auf jeden Fall die Liebesgeschichte – und zwar positiv: «Nur noch wenig Zeit vor sich zu haben, gibt der Beziehung eine neue Liebesdringlichkeit, eine frische Intensität», sagt Beziehungsexperte Heer. Obwohl sich auch im Alter Gegensätze anziehen – Gemeinsamkeiten sind es, die verbinden. So gilt auch hier: Es kommt darauf an, was man sucht. Bei einer Affäre darf der Geliebte ganz anders sein, bei Heiratsabsichten sind ähnliche Werte und Interessen von Vorteil.

Und wann teilt man das neue Liebesglück mit den Kindern und Enkeln? «Zu Beginn ist das Geschmackssache. Es hängt davon ab, wie viel Offenheit man in der Familie gewohnt ist», sagt Klaus Heer. «Später, wenn sich die neue Beziehung verfestigt, drängt es sich wohl auf, dass man den neuen Partner familiär einbezieht. Das ist für alle ein Gewinn.»
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor