Dr. Klaus Heer

Die Weltwoche Nr. 35/2024
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«Wenn die Liebe zweimal blüht»

Die Hollywood-Stars Jennifer Lopez und Ben Affleck haben sich erneut getrennt. Kann ein Beziehungs-Comeback überhaupt funktionieren?

VON KLAUS HEER
Ja, das klingt romantisch, dieses «Liebes- Comeback». Das Thema verkauft sich gut in den Medien, wenn «Bennifer» davon schwärmen. Fast noch knackiger, wenn die Promi-Paare dann wenig später ihre neuerliche Scheidung verkünden. Und dabei immer versichern, dass sie «Freunde bleiben» wollen. «Die zweite Chance» ist das Zauberwort.

Den Beginn unserer Liebesgeschichten empfinden wir gerne als die unverletzliche einzige Chance, die «wir zwei» geschenkt bekommen haben. Wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass unsere Liebe jemals schrumpfen könnte. Weder durch traumatische Ereignisse noch durch langweilige Korrosion.
Die Liebe ist kein gutartiger Ponyhof. Sie führt uns eher an unsere Grenzen, überfordert uns gelegentlich.
Leben und Zusammenleben belehren aber viele Paare eines Besseren. Die Liebe ist kein gutartiger Ponyhof. Sie führt uns eher an unsere Grenzen, überfordert uns gelegentlich und wird immer derber. Nicht etwa, weil wir zu wenig lieb wären miteinander. Sondern weil wir zu wenig klar sind im Kopf. Wir zögern nämlich, die Liebesrealität zur Kenntnis zu nehmen, bis es zu spät ist. Bis diese Wirklichkeit unsere Herzen so weit überwuchert hat, dass die Liebe zu ersticken droht.

Der Volksmund nennt es Untreue
Die meisten Paare in Not nennen diese Wucherung «Alltag». Ihr Alltag sei eine Art höhere Macht, die ihr Leben ablaufen lasse wie ein unaufhaltsames Räderwerk, sagen sie. Dieses verunmögliche es ihnen beiden, die Liebe zu leben, die sie vor sich gesehen hätten, als ihre Liebesgeschichte begann. Zu viel tägliche Müh’ und zu viel Stress, keine Zeit für entspanntes Reden und Austauschen mehr wie früher, kein Platz mehr für Berührung und Sexualität.

Doch, bescheidene Ausnahmen gibt’s. Ein kleiner Kuss auf die Wangen, wenn einer aus dem Haus geht am Morgen. Und am Abend manchmal ein beiläufiges Händchenhalten beim Netflixen. Sonst ist ihre Liebe platonisch geworden. Ganz so schlimm ist das allerdings nicht. Richtig krass wird’s erst, wenn fortpflanzungstüchtiger Sex dazukommt und bei einem der beiden die Lust dazu fehlt. Aus dieser queren Nummer wieder rauszukommen, ist richtig schwer.
Da wäre eine zweite Chance zwingend nötig. Reden müsste man. Über die wahrhaft zähen Themen, die einem seit langem über den Kopf gewachsen sind. Fatalerweise kommt die gemeinsame Erfahrung dazu, dass durch Reden meist kein Neustart in Sicht kommt. Im Gegenteil. Nach den Gesprächen geht es beiden oft mieser als vorher. Reden versagt also im entscheidenden Augenblick seinen Dienst als Starthilfe für den Neuanfang. Genau dafür wäre ja das Reden einst erfunden worden.

Der Verfall kann sich über längere oder lange Zeit hinziehen. Bis die Kraft schwindet und die Resignation anschwillt. Präzis in dieser Zeit poppt die Liebe häufig überraschend neu und wild auf. Der Volksmund nennt es Untreue. Einer der beiden Partner inszeniert einen spektakulären Neuanfang ausserhalb des angestammten Liebesbezirks. Damit erweitert er nicht nur eigenmächtig den bisherigen Intimbereich; er verrät auch die Liebe selbst. So empfindet es der Partner, der nicht gefragt wurde, ob er mit diesem Neustart-Vorgehen einverstanden sei.

Niemand weiss, wie viele Paare, die sich bisher als fraglos zusammengehörig empfanden, an dieser ruppigen Art des Neuanfangs zerbrechen. Hingegen ist klar, dass der Neuanfang so überlebensnotwendig ist für jede Liebesbeziehung wie die Liebe selbst. Vom ersten Tag der Liebesgeschichte an spielt der ständig präsente Neustart die Rolle des Sauerstoffs. Ohne Sauerstoff kein Leben.

Waches Auge, sensibles Herz
Konkret: Ein lebendiges Paar braucht nicht alle paar Jahre eine Scheidung und dann ein Liebes-Comeback. Viel eher ein waches Auge und ein sensibles Herz für alles, was sich jeden Tag in der Beziehung bewegt und verändert. Beziehungsfähig sein heisst neugierig sein auf beide. Auf dich und auf mich selbst.

Keine Beziehung und kein Partner lassen uns hier im Stich: Jede Paarschaft ist ein Rätsel, jedes geliebte Gegenüber letztlich unverständlich und fremd. Wir brauchen nicht fremdzugehen, um andauernd Fremdes zu entdecken. Und die Liebe neu aufblühen zu lassen.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor