CSS MAGAZIN 1/2017
Gibt es die «grosse Liebe»?
Alltagsreibereien sind für jede noch so euphorisch entfachte Liebe ein Härtetest, sagt Paartherapeut Klaus Heer. Wie eine tragfähige Bindung dennoch gelingen kann.
INTERVIEW: VERA SOHMER
INTERVIEW: VERA SOHMER
Herr Heer, glauben Sie noch an die «grosse Liebe»?
Ja, denn jede Liebe ist gross. Sie ist grösser als ich selbst. Weil sie über mich und meine engen Grenzen hinausweist. Die Grösse der Liebe misst sich aber nicht an den Flutwellen von Emotionen und erfüllten Sehnsüchten. Sie zeigt sich in der unerwarteten Fülle von konkreten Erfahrungen, die man zu zweit jeden Tag macht.
Aber jeder neuen Liebesgeschichte geht mindestens eine verflossene Liebe voraus. Wie gehen wir mit solchen Enttäuschungen um?
Wer sich auf eine neue «grosse Liebe» einlässt, ist mit einer ebenso grossen Herausforderung konfrontiert. Deshalb kann es Altlast und Chance bedeuten: Lässt man sich von den verletzenden Erfahrungen niederdrücken oder zieht man seine Lehren daraus?
Woran scheitern Zweierbeziehungen am häufigsten?
Alle innig gestarteten Zweisamkeiten zerreiben sich an der gnadenlosen Realität ihres Alltags. Ausnahmslos alle. Der Alltag zu zweit ist immer mit jeder Menge kleiner Missverständnisse, Reibungen und Ärger gespickt. Aber das würde ich niemals als Scheitern bezeichnen. Eine Beziehung ist erst gescheitert, wenn das Paar keinen Neustart mehr unter die Füsse nimmt, sobald es mit seinem Latein am Ende ist.
Und wann lässt sich eine Paarbeziehung nicht mehr kitten?
Genau in dem Moment, wo einer der beiden sagt: «Unsere Beziehung ist nicht mehr zu kitten!» Nicht vorher, nicht nachher.
Was genau hat die Liebe dann getötet?
Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, wie die Liebe zugrunde gehen kann: entweder lautlos, indem die beiden Menschen emotional geizig sind und die Beziehung an Magersucht verenden lassen; oder indem ihre Liebe im Bürgerkriegskrach untergeht.
Den anderen nach unseren Vorstellungen formen zu wollen – ist auch dies ein häufiger Fehler?
Ja, offenbar wissen wir nicht, dass präzis dies der Kern unserer Beziehungskrux ist. Niemand lässt es sich auf Dauer bieten, dass ihn der Partner ummodeln und umerziehen will. Man sperrt sich entschieden dagegen.
Was ist mit Eifersucht? Der Volksmund behauptet, ein bisschen davon könne nicht schaden.
Das stimmt. Aber nicht, weil es beweist, dass Liebe im Spiel ist, sondern weil Eifersucht als Frühwarnsignal amtet. Es blinkt, wenn die Beziehung bedroht ist. Von aussen oder von innen. Natürlich gibt es auch andere Sensoren, die zu Vorsicht mahnen. Üble Laune zum Beispiel. Oder zunehmendes Gezänk. Oder undurchdringliche Stummheit.
Kommen Paare in der Regel dann zu Ihnen, wenn schon vieles zerrüttet ist?
Ja, natürlich. Zum Glück kommen sie erst dann. Denn erst jetzt sind sie genügend motiviert, um sich an ihre schwierigen Themen heranzuwagen.
Wäre es nicht gescheiter, sich in einer intakten Beziehung von einer Fachperson coachen zu lassen?
Nur eine verschwindend kleine Minderheit von Paaren beauftragt eine begleitende Fachperson. Das ist verständlich. Lieber die bekannte Misere als das riskante Abenteuer. Knifflig ist ausserdem, dass die beiden sich wenigstens ansatzweise einigen müssen, wie sie der Paarkümmernis entkommen könnten. Das alles kann ein paar Jahre dauern.
Ja, denn jede Liebe ist gross. Sie ist grösser als ich selbst. Weil sie über mich und meine engen Grenzen hinausweist. Die Grösse der Liebe misst sich aber nicht an den Flutwellen von Emotionen und erfüllten Sehnsüchten. Sie zeigt sich in der unerwarteten Fülle von konkreten Erfahrungen, die man zu zweit jeden Tag macht.
Aber jeder neuen Liebesgeschichte geht mindestens eine verflossene Liebe voraus. Wie gehen wir mit solchen Enttäuschungen um?
Wer sich auf eine neue «grosse Liebe» einlässt, ist mit einer ebenso grossen Herausforderung konfrontiert. Deshalb kann es Altlast und Chance bedeuten: Lässt man sich von den verletzenden Erfahrungen niederdrücken oder zieht man seine Lehren daraus?
Woran scheitern Zweierbeziehungen am häufigsten?
Alle innig gestarteten Zweisamkeiten zerreiben sich an der gnadenlosen Realität ihres Alltags. Ausnahmslos alle. Der Alltag zu zweit ist immer mit jeder Menge kleiner Missverständnisse, Reibungen und Ärger gespickt. Aber das würde ich niemals als Scheitern bezeichnen. Eine Beziehung ist erst gescheitert, wenn das Paar keinen Neustart mehr unter die Füsse nimmt, sobald es mit seinem Latein am Ende ist.
Und wann lässt sich eine Paarbeziehung nicht mehr kitten?
Genau in dem Moment, wo einer der beiden sagt: «Unsere Beziehung ist nicht mehr zu kitten!» Nicht vorher, nicht nachher.
Was genau hat die Liebe dann getötet?
Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, wie die Liebe zugrunde gehen kann: entweder lautlos, indem die beiden Menschen emotional geizig sind und die Beziehung an Magersucht verenden lassen; oder indem ihre Liebe im Bürgerkriegskrach untergeht.
Den anderen nach unseren Vorstellungen formen zu wollen – ist auch dies ein häufiger Fehler?
Ja, offenbar wissen wir nicht, dass präzis dies der Kern unserer Beziehungskrux ist. Niemand lässt es sich auf Dauer bieten, dass ihn der Partner ummodeln und umerziehen will. Man sperrt sich entschieden dagegen.
Was ist mit Eifersucht? Der Volksmund behauptet, ein bisschen davon könne nicht schaden.
Das stimmt. Aber nicht, weil es beweist, dass Liebe im Spiel ist, sondern weil Eifersucht als Frühwarnsignal amtet. Es blinkt, wenn die Beziehung bedroht ist. Von aussen oder von innen. Natürlich gibt es auch andere Sensoren, die zu Vorsicht mahnen. Üble Laune zum Beispiel. Oder zunehmendes Gezänk. Oder undurchdringliche Stummheit.
Kommen Paare in der Regel dann zu Ihnen, wenn schon vieles zerrüttet ist?
Ja, natürlich. Zum Glück kommen sie erst dann. Denn erst jetzt sind sie genügend motiviert, um sich an ihre schwierigen Themen heranzuwagen.
Wäre es nicht gescheiter, sich in einer intakten Beziehung von einer Fachperson coachen zu lassen?
Nur eine verschwindend kleine Minderheit von Paaren beauftragt eine begleitende Fachperson. Das ist verständlich. Lieber die bekannte Misere als das riskante Abenteuer. Knifflig ist ausserdem, dass die beiden sich wenigstens ansatzweise einigen müssen, wie sie der Paarkümmernis entkommen könnten. Das alles kann ein paar Jahre dauern.
Vorbeugen ist doch besser als
Wunden versorgen.
Die Liebe ist prophylaktisch nicht zu retten. Sie will gelebt werden. Das Leben selbst gibt laufend hinreichenden Anstoss zur Veränderung. Wer diese offensichtlichen Impulse mitbekommt und beantwortet, braucht keine professionellen Beziehungsoptimierer.
Welche Lektion sollte man als liebender Mensch unbedingt lernen?
Sich Vorwürfe des geliebten Gegenübers wehrlos anzuhören. Das Zusammenleben bringt notgedrungen mit sich, dass man sich gegenseitig immer wieder zur Zumutung wird. Niemand schafft es von Hause aus, sich das mit offenem, weichem Herzen sagen zu lassen. Es ist wohl die haarigste Lektion überhaupt, mich nicht reflexartig zu verteidigen, sondern das Unglück meines Partners aus seinen Anwürfen herauszuhören. Seine Anklage enthält immer eine Klage, die meine Empathie verdient.
Worin besteht die «Kunst des Liebens» darüber hinaus?
In seinem gleichnamigen Longseller hat es Erich Fromm vor 60 Jahren sinngemäss so formuliert: Wer liebt, macht in seinem Hirn und in seinem Herzen Platz für seinen Partner. Ein halbes Jahrhundert später definiert es Christa Wolf anders: «Müssiggang ist aller Liebe Anfang.»
Was meint sie damit?
Es will wohl heissen: Liebe braucht viel Zeit und immer wieder volle Hingabe.
Steckt hinter dem Wunsch nach anhaltender Bindung mehr als ein romantisch verklärtes Ideal?
Wahrscheinlich möchten wir unbedingt so bedingungslos und begeistert angenommen werden wie in unseren frühen Kinderjahren. Unser heimliches Schreckgespenst ist wohl die Vorstellung, allein in der Welt zu sein, einsam und verloren. Über diese soziale Urangst kleben wir das Abziehbildchen von der Liebe, um nicht in diesen Seelenabgrund schauen zu müssen.
Junge Paare heiraten heute traditionell, einschliesslich des Gelübdes «bis dass der Tod uns scheidet». Wie lässt sich dies erklären?
Diese konventionelle Liebesformel ist als emotional aufgeladene Beschwörung zu verstehen, nicht als Prognose. Sie ist Teil einer Reihe von Trauungsritualen. Diese machen die Hochzeit zum «schönsten Tag des Lebens».
Obwohl jedes Paar die Scheidungsstatistiken kennt?
Ja, denn alle verliebten Paare halten sich für die Ausnahme von dieser Regel: «Wir zwei machen es besser!»
Schmetterlinge im Bauch, auf Wolken gehen: Erste Verliebtheit versetzt uns in ein Hochgefühl. Warum hat das die Natur so eingerichtet?
Sie möchte, dass wir uns vermehren.
Das ist alles?
Ja.
Wie gelingt es, diesen Ausnahmezustand in eine tragfähige Bindung umzuwandeln?
Diese Ernüchterung ist tatsächlich alles andere als gemütlich. Irgendwie sind wir im Anschluss an die Verliebtheit immer auf Entzug. Unsere Liebesgeschichte fängt mit dem Dessert an. Und dann gibt es viel zu beissen: Hartes, manchmal auch Bitteres. Aber nahrhaft ist es allemal. Wenn es gelingt, diese unausweichliche Entwicklung nüchtern zu sehen und anzunehmen, sind wir auf dem besten Weg zu einer tragfähigen Bindung.
Wunden versorgen.
Die Liebe ist prophylaktisch nicht zu retten. Sie will gelebt werden. Das Leben selbst gibt laufend hinreichenden Anstoss zur Veränderung. Wer diese offensichtlichen Impulse mitbekommt und beantwortet, braucht keine professionellen Beziehungsoptimierer.
Welche Lektion sollte man als liebender Mensch unbedingt lernen?
Sich Vorwürfe des geliebten Gegenübers wehrlos anzuhören. Das Zusammenleben bringt notgedrungen mit sich, dass man sich gegenseitig immer wieder zur Zumutung wird. Niemand schafft es von Hause aus, sich das mit offenem, weichem Herzen sagen zu lassen. Es ist wohl die haarigste Lektion überhaupt, mich nicht reflexartig zu verteidigen, sondern das Unglück meines Partners aus seinen Anwürfen herauszuhören. Seine Anklage enthält immer eine Klage, die meine Empathie verdient.
Worin besteht die «Kunst des Liebens» darüber hinaus?
In seinem gleichnamigen Longseller hat es Erich Fromm vor 60 Jahren sinngemäss so formuliert: Wer liebt, macht in seinem Hirn und in seinem Herzen Platz für seinen Partner. Ein halbes Jahrhundert später definiert es Christa Wolf anders: «Müssiggang ist aller Liebe Anfang.»
Was meint sie damit?
Es will wohl heissen: Liebe braucht viel Zeit und immer wieder volle Hingabe.
Steckt hinter dem Wunsch nach anhaltender Bindung mehr als ein romantisch verklärtes Ideal?
Wahrscheinlich möchten wir unbedingt so bedingungslos und begeistert angenommen werden wie in unseren frühen Kinderjahren. Unser heimliches Schreckgespenst ist wohl die Vorstellung, allein in der Welt zu sein, einsam und verloren. Über diese soziale Urangst kleben wir das Abziehbildchen von der Liebe, um nicht in diesen Seelenabgrund schauen zu müssen.
Junge Paare heiraten heute traditionell, einschliesslich des Gelübdes «bis dass der Tod uns scheidet». Wie lässt sich dies erklären?
Diese konventionelle Liebesformel ist als emotional aufgeladene Beschwörung zu verstehen, nicht als Prognose. Sie ist Teil einer Reihe von Trauungsritualen. Diese machen die Hochzeit zum «schönsten Tag des Lebens».
Obwohl jedes Paar die Scheidungsstatistiken kennt?
Ja, denn alle verliebten Paare halten sich für die Ausnahme von dieser Regel: «Wir zwei machen es besser!»
Schmetterlinge im Bauch, auf Wolken gehen: Erste Verliebtheit versetzt uns in ein Hochgefühl. Warum hat das die Natur so eingerichtet?
Sie möchte, dass wir uns vermehren.
Das ist alles?
Ja.
Wie gelingt es, diesen Ausnahmezustand in eine tragfähige Bindung umzuwandeln?
Diese Ernüchterung ist tatsächlich alles andere als gemütlich. Irgendwie sind wir im Anschluss an die Verliebtheit immer auf Entzug. Unsere Liebesgeschichte fängt mit dem Dessert an. Und dann gibt es viel zu beissen: Hartes, manchmal auch Bitteres. Aber nahrhaft ist es allemal. Wenn es gelingt, diese unausweichliche Entwicklung nüchtern zu sehen und anzunehmen, sind wir auf dem besten Weg zu einer tragfähigen Bindung.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor