Aare-Forum vom 28. April 2017
«15 Fake News in Sachen Ehrlichkeit in der Liebe» – Und wie wahr das wahrscheinlich wirklich wäre.
Zusammenfassung des Referats an der Solodaris Charity in Olten am 28. April 2017.
VON KLAUS HEER
VON KLAUS HEER
Wir reden über die Liebeslügen, einer Untergruppe der ortsüblichen Lebenslügen. Es sind die privaten Fake News ohne jede Täuschungsabsicht. Dahinter stehen nicht Machtgier oder Bosheit, eher Überforderung und Angst.
1 Ehrlichkeit ist die tragende Säule unserer Beziehung.
Höchst riskant! Ohne Liebe ist diese Säule brüchig.
Umfragen belegen regelmässig, dass Wahrheit, Ehrlichkeit und Transparenz für die Beziehung höher gewertet werden als die Liebe. Ernest Hemingsway benennt die Ambivalenz, die für Beziehungen typisch ist: «Die Lüge tötet die Liebe. Aber die Ehrlichkeit tötet sie erst recht.»
2 Ich weiss doch, was wahr ist!
Ja, fehlt nur die andere Hälfte der Wahrheit, drüben beim Partner.
Genau genommen will ich von meinem Partner nur das hören, was mich bestätigt. Mit der Zeit wächst eine hauseigene Filterblase. Die Folge ist psychische Gewalt, die sich zu Beispiel in gängigen Killersätzen äussert:
Das glaub ich dir nicht.
Du lügst!
Stimmt nicht!
Das lasse ich mir nicht unterstellen.
Das sagst DU!
Sei wenigstens ein einziges Mal ehrlich!
Das bildest du dir nur ein.
Dass ich nicht lache!
Ja ja, ich weiss...!
Das sagst du immer.
Das machst du alles absichtlich.
Derlei Sätze sind viel brutaler als sie klingen. Sie stechen ins Herz. Unter unserem gemeinsamen Dach müssen unbedingt und immer zwei Wahrheiten Platz finden.
Friedrich Nietzsche: «Wir haben die Kunst (der Liebe), damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.»
3 Im Streit kommt die Wahrheit an den Tag.
«In Vino veritas» gilt nur fürs Weintrinken. Der Streit verzerrt die emotionale Realität.
Jedes Paar ist je länger je krasser konfrontiert mit den Unterschieden zwischen du und ich. Paare reagieren entweder mit Niederschweigen dieser Differenzen – und inszenieren so die Friedhofsruhe. Oder mit Zank und Zoff: man bekämpft die Gegensätze lauthals. Manche halten die Entwicklung einer «Streitkultur» für die Rettung. Ich vermute: Man muss sich entscheiden zwischen Streit und Kultur. Man kann nicht beides haben.
4 Erst kommt das Vertrauen, dann die Liebe.
Nein, umgekehrt. Zuerst kommt das liebende Wagnis.
Vertrauen ist kein «Gefühl», eher eine Liebes-Entscheidung. Vertrauen ist dann gefragt, wenn ich wenig «weiss», unsicher bin. Es ist nicht das Obdach, unter das wir Zwei uns wohlig verkriechen können. Es ist ähnlich wie im echten Leben: Ich entscheide mich am Morgen dafür, aus dem Haus zu gehen, obwohl ich damit ein Risiko eingehe. Ich entscheide mich immer wieder für meinen Partner, obwohl ich im Grunde genommen mit Überraschungen rechnen muss.
5 Wir zwei haben nichts voreinander zu verbergen.
Das können wir nur postulieren, wenn wir unehrlich sind. Oder naiv.
Solange wir verliebt sind, wägen wir unsere Worte streng ab. Wir wollen den anderen auf keinen Fall brüskieren oder verletzen. Später sind wir in Gefahr, die Tugend der ortsüblichen Höflichkeit aus den Augen zu verlieren. Nicht weil wie böse wären, sondern hilflos und verzweifelt. Beides gehört zur Liebe: die Selbstkontrolle und die Fähigkeit zu Offenheit und Transparenz. Wir sollten einander nicht hemmungslos Zutritt gewähren zu unserem innersten Kern.
Max Frisch: «Erst das Geheimnis, das ein Mann und ein Weib voreinander hüten, macht sie zum Paar.»
6 Mit Schweigen und Verschweigen kann man genauso lügen wie mit Reden.
Stimmt. Und die Wahrheit kann die Beziehung ebenso gefährden wie die Lüge.
Jean Gabin: «Wenn alle Menschen immer die Wahrheit sagten, wäre das die Hölle auf Erden.»
Ein ausgewachsenes Dilemma ist’s:
Wer redet, möchte klären, was trüb ist. Möchte ändern, was schwer aushaltbar ist. Oder möchte verdecken, was ist.
Wer schweigt oder verschweigt, möchte das gleiche: zudecken, was ist. Er sorgt sich um das Überleben der Liebe.
Beides, Reden und Schweigen, ist riskant. Eine Zwickmühle.
7 PIN-Codes, Passwörter & andere Heimlichkeiten gefährden unser Vertrauen.
Nein. Sie schützen unsere beziehungsinterne Privatsphäre.
Die Erfahrungen mit Passwörtern sind häufig mies. Fremdgehen kommt meist mit Smartphone-Hilfe ans Licht, also auf dieselbe Weise, wie die Romanzen zuvor zu Stande gekommen waren. Auswärtssex zerschlägt gewöhnlich das Vertrauen. Aber ebenso vertrauensruinös sind die geheimdienstlichen Methoden, mit denen sich misstrauische Partner Zugang zu den digitalen Gerätschaften des anderen verschaffen.
Soziale Netzwerke, Aussensex, Prostitution, Pornografie sind mächtige Versuchungen zu unlauteren Machenschaften. Trotzdem leben die meisten Paare in Sachen Treue in einem vertragslosen Zustand: sie sprechen nie ab, was für sie Untreue ist und wo sie anfängt.
8 Viel schlimmer als der auswärtige Sex ist der Verrat am Vertrauen.
Vielleicht verwechselt man bloss Vertrauen mit Vertrautheit.
Intakte Liebessicherheit ist genüssliche Lebensqualität. Wir zwei gehören zusammen, du gehörst quasi mir. Das hat mit Vertrauen aber wenig zu tun. Zusammenleben ist genauso unsicher wie das Leben selbst. Unser Paarleben ist täglich unserer Verführbarkeit ausgesetzt.
9 Der Körper lügt nicht. Gefühle auch nicht.
Doch! Wir sind möglicherweise nie so weit voneinander entfernt wie beim Sex.
Warum schläft man eigentlich miteinander? Wirklich aus Lust? Weiss man das voneinander? Nein, nicht wirklich. Vor allem, weil in vielen Doppelbetten eine ohrenbetäubende Stille herrscht beim Sex, abgesehen vielleicht von etwas zivilisiertem Keuchen. Und nach den Bettszenen sind beide weiterhin stumm zu dem anspruchsvollen Thema.
Eine Alternative wäre womöglich: Küssen und Lieben mit offenen Augen. Das ist beinahe unerträglich intensive Intimität.
10 Wohlfeilster Ratschlag: Du musst deine sexuellen Bedürfnisse ehrlich äussern. Das ist das Wichtigste überhaupt.
Nein. Die erstrangige Fähigkeit im Bett ist Nein sagen können, wenn Nein ist!
Wenn diese Fähigkeit fehlt, ist im besten Fall sexuelle Routine die Folge. Oder aber häusliche Prostitution. Niemandem ist das geheuer, geschweige denn angenehm. Emanzipation bleibt häufig an der Bettkante hängen. Nach dem Nein, kommt das zweitwichtigste Wort im sex-Vokabular: Ja. Und dann muss man erst noch wissen, zu was man Ja sagen könnte und möchte.
11 «Tun als ob» ist eine perfide Lüge! Besonders in Sachen Orgasmus.
Nicht unbedingt.
Ein vorgespielter Orgasmus seiner Frau ist der Alptraum jedes sexambitionierten Mannes. Er gilt als schlimmer Betrug an der männlichen Rechtschaffenheit im Bett. Aber: «Tun als ob» kann eine echte Chance sein, sobald es aus dem Schatten des Fake-Daseins hervorkommt.
So geht’s: einer von beiden macht einen Vorschlag:
Komm, wir spielen mal eine Woche das Spiel namens «Tun als ob».
Wir tun als wären wir zufrieden. Als hätten wir keine Probleme. Als fehlte uns nichts. Und ja, du spielst mir einen richtigen Orgasmus vor. Eine Woche lang. – Einverstanden?
12 Wie fühlst du dich? Wir müssen reden!
Das ist Anstiftung zum Lügen.
«Am Anfang war das Wort.» Das steht nicht nur auf Seite 1 des Johannes- Evangeliums, sondern auch beim Start fast aller Liebesgeschichten. Redseligkeit ist die hinreissende Mitgift jeder jungen Liebe. Aber sie verblasst ziemlich schnell. Bleibt die Idee, man müsste unbedingt seine Paarkomplikationen mit Problemwälzen lösen. Meistens sind es die Männer, die solche Veranstaltungen fürchten. Dann macht Angst stumm. Oder verdreht. Oder aggro. Oder verlogen.
13 Ich kann’s nicht mehr hören! Sag was Anderes!
Was mach ich statt Zuhören? Vor allem Faktencheck.
Es lohnt sich, auf die Vorgänge im eigenen Kopf genau zu achten, wenn der Partner von den Schwierigkeiten redet, die er in der Beziehung hat. Ich bin nämlich beschäftigt mit der Überprüfung und Bewertung dessen, was der andere sagt: Immer diese Unterstellungen! Ich fürchte, heute entgleist es wieder. Sie ist alles andere als objektiv. Er lügt und merkts nicht mal. Typisch Frau! Das stimmt doch überhaupt nicht.
«Wir lieben die Menschen, die frisch heraussagen, was sie denken – falls sie das gleiche denken wie wir.» Marc Twain
14 Vorwürfe sind miese Du-Botschaften!
Dies ist ein verstaubter Kommunikations-Findling aus den 70er Jahren.
Damals hiess es: Vermeide unbedingt Du-Botschaften! Sag nicht: Du bist eine saublöde Kuh! Sondern ganz ehrlich: Ich finde, du bist eine saublöde Kuh! – Das ist natürlich kommunikative Sophisterei. Wer keine Ohren hat, hört weder das eine noch das andere. Nicht an der Wortwahl muss herumgeschraubt werden, die Ohren müssen aufgehen. Und das Herz, das mit ihnen verbunden ist.
15 Du bist schuld. Ich nicht.
Hauptsache, ich behalte meine saubere Weste. Aber was hab ich davon?
Nötig die ehrliche Erkenntnis: Ich bin immer wieder eine unerträgliche Zumutung. Ich bin schwierig für diesen Menschen, der mich am längsten ertragen muss ohne wegzulaufen. Die Vorwürfe sind der paradoxe Beweis für Ehrlichkeit, Gradheit, Intimität, Vertrauen, Liebe. Sie sind die Vehikel der beiderseitigen Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung. Vorausgesetzt jemand ist so ehrlich und mutig, Vorwürfe zu machen – und da ist ein Gegenüber, das sie hören will.
Ich fasse zusammen:
Dilemma ist altgriechisch und heisst auf gut deutsch Beziehung. Wer liebt,
muss dilemma-fest sein. Er muss wissen:
Aufrichtig kommt von aufrecht. Der Mensch ist das einzige Säugetier auf der Welt mit dem aufrechten Gang.
Und gleichzeitig: Transparenz macht uns gläsern füreinander, wie in einem totalitären Staat.
Lieben heisst, den Weg suchen und finden zwischen diesen beiden Seiten der Liebeszwickmühle. Eine Lebensaufgabe für mich.
1 Ehrlichkeit ist die tragende Säule unserer Beziehung.
Höchst riskant! Ohne Liebe ist diese Säule brüchig.
Umfragen belegen regelmässig, dass Wahrheit, Ehrlichkeit und Transparenz für die Beziehung höher gewertet werden als die Liebe. Ernest Hemingsway benennt die Ambivalenz, die für Beziehungen typisch ist: «Die Lüge tötet die Liebe. Aber die Ehrlichkeit tötet sie erst recht.»
2 Ich weiss doch, was wahr ist!
Ja, fehlt nur die andere Hälfte der Wahrheit, drüben beim Partner.
Genau genommen will ich von meinem Partner nur das hören, was mich bestätigt. Mit der Zeit wächst eine hauseigene Filterblase. Die Folge ist psychische Gewalt, die sich zu Beispiel in gängigen Killersätzen äussert:
Das glaub ich dir nicht.
Du lügst!
Stimmt nicht!
Das lasse ich mir nicht unterstellen.
Das sagst DU!
Sei wenigstens ein einziges Mal ehrlich!
Das bildest du dir nur ein.
Dass ich nicht lache!
Ja ja, ich weiss...!
Das sagst du immer.
Das machst du alles absichtlich.
Derlei Sätze sind viel brutaler als sie klingen. Sie stechen ins Herz. Unter unserem gemeinsamen Dach müssen unbedingt und immer zwei Wahrheiten Platz finden.
Friedrich Nietzsche: «Wir haben die Kunst (der Liebe), damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.»
3 Im Streit kommt die Wahrheit an den Tag.
«In Vino veritas» gilt nur fürs Weintrinken. Der Streit verzerrt die emotionale Realität.
Jedes Paar ist je länger je krasser konfrontiert mit den Unterschieden zwischen du und ich. Paare reagieren entweder mit Niederschweigen dieser Differenzen – und inszenieren so die Friedhofsruhe. Oder mit Zank und Zoff: man bekämpft die Gegensätze lauthals. Manche halten die Entwicklung einer «Streitkultur» für die Rettung. Ich vermute: Man muss sich entscheiden zwischen Streit und Kultur. Man kann nicht beides haben.
4 Erst kommt das Vertrauen, dann die Liebe.
Nein, umgekehrt. Zuerst kommt das liebende Wagnis.
Vertrauen ist kein «Gefühl», eher eine Liebes-Entscheidung. Vertrauen ist dann gefragt, wenn ich wenig «weiss», unsicher bin. Es ist nicht das Obdach, unter das wir Zwei uns wohlig verkriechen können. Es ist ähnlich wie im echten Leben: Ich entscheide mich am Morgen dafür, aus dem Haus zu gehen, obwohl ich damit ein Risiko eingehe. Ich entscheide mich immer wieder für meinen Partner, obwohl ich im Grunde genommen mit Überraschungen rechnen muss.
5 Wir zwei haben nichts voreinander zu verbergen.
Das können wir nur postulieren, wenn wir unehrlich sind. Oder naiv.
Solange wir verliebt sind, wägen wir unsere Worte streng ab. Wir wollen den anderen auf keinen Fall brüskieren oder verletzen. Später sind wir in Gefahr, die Tugend der ortsüblichen Höflichkeit aus den Augen zu verlieren. Nicht weil wie böse wären, sondern hilflos und verzweifelt. Beides gehört zur Liebe: die Selbstkontrolle und die Fähigkeit zu Offenheit und Transparenz. Wir sollten einander nicht hemmungslos Zutritt gewähren zu unserem innersten Kern.
Max Frisch: «Erst das Geheimnis, das ein Mann und ein Weib voreinander hüten, macht sie zum Paar.»
6 Mit Schweigen und Verschweigen kann man genauso lügen wie mit Reden.
Stimmt. Und die Wahrheit kann die Beziehung ebenso gefährden wie die Lüge.
Jean Gabin: «Wenn alle Menschen immer die Wahrheit sagten, wäre das die Hölle auf Erden.»
Ein ausgewachsenes Dilemma ist’s:
Wer redet, möchte klären, was trüb ist. Möchte ändern, was schwer aushaltbar ist. Oder möchte verdecken, was ist.
Wer schweigt oder verschweigt, möchte das gleiche: zudecken, was ist. Er sorgt sich um das Überleben der Liebe.
Beides, Reden und Schweigen, ist riskant. Eine Zwickmühle.
7 PIN-Codes, Passwörter & andere Heimlichkeiten gefährden unser Vertrauen.
Nein. Sie schützen unsere beziehungsinterne Privatsphäre.
Die Erfahrungen mit Passwörtern sind häufig mies. Fremdgehen kommt meist mit Smartphone-Hilfe ans Licht, also auf dieselbe Weise, wie die Romanzen zuvor zu Stande gekommen waren. Auswärtssex zerschlägt gewöhnlich das Vertrauen. Aber ebenso vertrauensruinös sind die geheimdienstlichen Methoden, mit denen sich misstrauische Partner Zugang zu den digitalen Gerätschaften des anderen verschaffen.
Soziale Netzwerke, Aussensex, Prostitution, Pornografie sind mächtige Versuchungen zu unlauteren Machenschaften. Trotzdem leben die meisten Paare in Sachen Treue in einem vertragslosen Zustand: sie sprechen nie ab, was für sie Untreue ist und wo sie anfängt.
8 Viel schlimmer als der auswärtige Sex ist der Verrat am Vertrauen.
Vielleicht verwechselt man bloss Vertrauen mit Vertrautheit.
Intakte Liebessicherheit ist genüssliche Lebensqualität. Wir zwei gehören zusammen, du gehörst quasi mir. Das hat mit Vertrauen aber wenig zu tun. Zusammenleben ist genauso unsicher wie das Leben selbst. Unser Paarleben ist täglich unserer Verführbarkeit ausgesetzt.
9 Der Körper lügt nicht. Gefühle auch nicht.
Doch! Wir sind möglicherweise nie so weit voneinander entfernt wie beim Sex.
Warum schläft man eigentlich miteinander? Wirklich aus Lust? Weiss man das voneinander? Nein, nicht wirklich. Vor allem, weil in vielen Doppelbetten eine ohrenbetäubende Stille herrscht beim Sex, abgesehen vielleicht von etwas zivilisiertem Keuchen. Und nach den Bettszenen sind beide weiterhin stumm zu dem anspruchsvollen Thema.
Eine Alternative wäre womöglich: Küssen und Lieben mit offenen Augen. Das ist beinahe unerträglich intensive Intimität.
10 Wohlfeilster Ratschlag: Du musst deine sexuellen Bedürfnisse ehrlich äussern. Das ist das Wichtigste überhaupt.
Nein. Die erstrangige Fähigkeit im Bett ist Nein sagen können, wenn Nein ist!
Wenn diese Fähigkeit fehlt, ist im besten Fall sexuelle Routine die Folge. Oder aber häusliche Prostitution. Niemandem ist das geheuer, geschweige denn angenehm. Emanzipation bleibt häufig an der Bettkante hängen. Nach dem Nein, kommt das zweitwichtigste Wort im sex-Vokabular: Ja. Und dann muss man erst noch wissen, zu was man Ja sagen könnte und möchte.
11 «Tun als ob» ist eine perfide Lüge! Besonders in Sachen Orgasmus.
Nicht unbedingt.
Ein vorgespielter Orgasmus seiner Frau ist der Alptraum jedes sexambitionierten Mannes. Er gilt als schlimmer Betrug an der männlichen Rechtschaffenheit im Bett. Aber: «Tun als ob» kann eine echte Chance sein, sobald es aus dem Schatten des Fake-Daseins hervorkommt.
So geht’s: einer von beiden macht einen Vorschlag:
Komm, wir spielen mal eine Woche das Spiel namens «Tun als ob».
Wir tun als wären wir zufrieden. Als hätten wir keine Probleme. Als fehlte uns nichts. Und ja, du spielst mir einen richtigen Orgasmus vor. Eine Woche lang. – Einverstanden?
12 Wie fühlst du dich? Wir müssen reden!
Das ist Anstiftung zum Lügen.
«Am Anfang war das Wort.» Das steht nicht nur auf Seite 1 des Johannes- Evangeliums, sondern auch beim Start fast aller Liebesgeschichten. Redseligkeit ist die hinreissende Mitgift jeder jungen Liebe. Aber sie verblasst ziemlich schnell. Bleibt die Idee, man müsste unbedingt seine Paarkomplikationen mit Problemwälzen lösen. Meistens sind es die Männer, die solche Veranstaltungen fürchten. Dann macht Angst stumm. Oder verdreht. Oder aggro. Oder verlogen.
13 Ich kann’s nicht mehr hören! Sag was Anderes!
Was mach ich statt Zuhören? Vor allem Faktencheck.
Es lohnt sich, auf die Vorgänge im eigenen Kopf genau zu achten, wenn der Partner von den Schwierigkeiten redet, die er in der Beziehung hat. Ich bin nämlich beschäftigt mit der Überprüfung und Bewertung dessen, was der andere sagt: Immer diese Unterstellungen! Ich fürchte, heute entgleist es wieder. Sie ist alles andere als objektiv. Er lügt und merkts nicht mal. Typisch Frau! Das stimmt doch überhaupt nicht.
«Wir lieben die Menschen, die frisch heraussagen, was sie denken – falls sie das gleiche denken wie wir.» Marc Twain
14 Vorwürfe sind miese Du-Botschaften!
Dies ist ein verstaubter Kommunikations-Findling aus den 70er Jahren.
Damals hiess es: Vermeide unbedingt Du-Botschaften! Sag nicht: Du bist eine saublöde Kuh! Sondern ganz ehrlich: Ich finde, du bist eine saublöde Kuh! – Das ist natürlich kommunikative Sophisterei. Wer keine Ohren hat, hört weder das eine noch das andere. Nicht an der Wortwahl muss herumgeschraubt werden, die Ohren müssen aufgehen. Und das Herz, das mit ihnen verbunden ist.
15 Du bist schuld. Ich nicht.
Hauptsache, ich behalte meine saubere Weste. Aber was hab ich davon?
Nötig die ehrliche Erkenntnis: Ich bin immer wieder eine unerträgliche Zumutung. Ich bin schwierig für diesen Menschen, der mich am längsten ertragen muss ohne wegzulaufen. Die Vorwürfe sind der paradoxe Beweis für Ehrlichkeit, Gradheit, Intimität, Vertrauen, Liebe. Sie sind die Vehikel der beiderseitigen Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung. Vorausgesetzt jemand ist so ehrlich und mutig, Vorwürfe zu machen – und da ist ein Gegenüber, das sie hören will.
Ich fasse zusammen:
Dilemma ist altgriechisch und heisst auf gut deutsch Beziehung. Wer liebt,
muss dilemma-fest sein. Er muss wissen:
Aufrichtig kommt von aufrecht. Der Mensch ist das einzige Säugetier auf der Welt mit dem aufrechten Gang.
Und gleichzeitig: Transparenz macht uns gläsern füreinander, wie in einem totalitären Staat.
Lieben heisst, den Weg suchen und finden zwischen diesen beiden Seiten der Liebeszwickmühle. Eine Lebensaufgabe für mich.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor