Blick.ch vom 21. Mai 2017
«Aufklärung für libidinös Grenzdebile»
Im deutschen Privatfernsehen zeigen Kandidaten ihre Geschlechtsteile. Was kommt als Nächstes?
VON PETER PADRUTT
VON PETER PADRUTT
Nancy (28) sucht nach dem Mann in seiner reinsten Form, darum hat sie sich bei RTL 2 gemeldet. In Schnuppernähe präsentieren sich sechs nackte Männer. Die Kamera hält voll drauf. «Haben wir schöne Penisse für dich ausgesucht?», fragt Moderatorin Milka Loff Fernandes (36) die von Liebesnöten geplagte Mutter, die einen guten Vater für ihr Kind sucht. Nancy wählt den Typ mit dem längsten Glied, dem härtesten Waschbrettbauch und dem grössten Bizeps. Gefühle können so echt sein.
Willkommen in der Kuppelshow «Naked Attraction», in der Kandidaten einander aufgrund köperlicher Merkmale aussuchen. Nach der Nackt-Robinsonade «Adam sucht Eva» (RTL) und dem Zungen-Geschlabber von «Kiss Bang Love» (ProSieben) gibt der Sender RTL 2 mit dem Nacktgebalze noch einen drauf. Mit 1, 5 Millionen Zuschauern holt man mit dem Format aus England pralle Quoten.
«Aufklärung für libidinös Grenzdebile» nennt Paartherapeut Klaus Heer (73) die Skandalshow, die montags schon kurz nach 22 Uhr läuft. Vor allem ärgert ihn, dass der Sender vorgebe, Einblicke in die Wirklichkeit sexueller Anziehung zu geben. «Das ist aufgeblasener Bockmist. Wissenschaft geht ganz anders. Und sexuelle Anziehung erst recht», so Heer.
TV-Produzent Björn Hering (38, «Joya rennt») erklärt den Blutt-Trend: «Wegen des Erfolgs von Dating-Apps wie Tinder sind immer mehr Leute verrückt nach Kuppelformaten. Das macht sie auch fürs TV interessant.» Die Zunahme an Hemmungslosigkeit liege aber auch am freien Zugang zur Pornografie. «Mit der Realität haben solche Shows hingegen nichts zu tun», sagt Hering. Schon bei früheren Formaten wie «Joya rennt» habe man Mühe bekundet, echte Kandidaten zu finden, die sich vor der Kamera daten wollen. «Wenn sie es nackt tun sollen, wird es fast unmöglich.»
Tatsächlich: Hinter dem Genitaldating, das die Gemüter erregt, aber auch amüsiert, steckt kalkulierte Nacktheit. Mehrere Kandidaten der Show sollen Pornodarsteller sein. Sie sehen in «Naked Attraction» eine Werbeplattform für ihre Filme.
Ähnliche Entwicklungen macht das Fernsehen auch hierzulande durch: Der Schweizer Privatsender 3+ hat schon vor über einem Jahr angekündigt, dass er die Nacktshow «Adam und Eva» importieren will. Kandidaten sucht man noch immer verzweifelt – jetzt auch auf der Homepage.
Alles nur ein Fake?
Für den Winterthurer Ex-Pornoproduzenten Lars Rutschmann (37) ist klar, warum: «Schon für Pornos ist es schwierig, echte Amateure zu verpflichten. Sie sind unzuverlässig, kommen zum falschen Zeitpunkt und verzögern den Dreh.» Auch für eine TV-Show sei es effizienter, Profi-Nacktposer zu rekrutieren. «Sie tun, was man von ihnen verlangt – ohne Wenn und Aber.»
Alles also nur ein grosser Erotik-Fake? «Nackte Anziehung», wie der Titel lautet, ist ein Widerspruch in sich selbst», erklärt Paartherapeut Heer. «Nacktheit stösst eher ab. Das kann man faustdick spüren, während «Naked Attraction» läuft. Sowohl auf dem Bildschirm wie auch im eigenen Bauch beim Zuschauen.» Es gehe am Ende um «Schämen und Fremdschämen».
Die inflationäre Nacktheit überrascht auch Philosoph und SRF-Dokfilmer Alain Godet (65): «Ich hätte nie gedacht, dass sich die Vorstellungen von Sexualmoral so rasend schnell in nichts auflösen.» 1996 habe sich die halbe Schweiz inklusive Nationalrat über seinen Dokfilm «Heidi im Pornoland» entrüstet. «Das wäre heute kalter Kaffee.» Dieser Kulturwandel habe in weniger als zwanzig Jahren stattgefunden. «Schamlippenkorrektur, Tinder-Abenteuer, Arschparaden oder Nipplegate – alles Themen, die breit verhandelt werden.»Und jetzt noch Nacktdating: Ist es das letzte Aufbäumen des Fernsehens vor der digitalen Bedrohung? Am Schluss trafen sich Nancy und ihr Testosteron-Bolzen zum Treffen – in Kleidern. Der gut bestückte Mechaniker fands nicht so toll, dass sie Mami ist, und haute ab. So schnell macht Liebe wieder schlapp.
Willkommen in der Kuppelshow «Naked Attraction», in der Kandidaten einander aufgrund köperlicher Merkmale aussuchen. Nach der Nackt-Robinsonade «Adam sucht Eva» (RTL) und dem Zungen-Geschlabber von «Kiss Bang Love» (ProSieben) gibt der Sender RTL 2 mit dem Nacktgebalze noch einen drauf. Mit 1, 5 Millionen Zuschauern holt man mit dem Format aus England pralle Quoten.
«Aufklärung für libidinös Grenzdebile» nennt Paartherapeut Klaus Heer (73) die Skandalshow, die montags schon kurz nach 22 Uhr läuft. Vor allem ärgert ihn, dass der Sender vorgebe, Einblicke in die Wirklichkeit sexueller Anziehung zu geben. «Das ist aufgeblasener Bockmist. Wissenschaft geht ganz anders. Und sexuelle Anziehung erst recht», so Heer.
TV-Produzent Björn Hering (38, «Joya rennt») erklärt den Blutt-Trend: «Wegen des Erfolgs von Dating-Apps wie Tinder sind immer mehr Leute verrückt nach Kuppelformaten. Das macht sie auch fürs TV interessant.» Die Zunahme an Hemmungslosigkeit liege aber auch am freien Zugang zur Pornografie. «Mit der Realität haben solche Shows hingegen nichts zu tun», sagt Hering. Schon bei früheren Formaten wie «Joya rennt» habe man Mühe bekundet, echte Kandidaten zu finden, die sich vor der Kamera daten wollen. «Wenn sie es nackt tun sollen, wird es fast unmöglich.»
Tatsächlich: Hinter dem Genitaldating, das die Gemüter erregt, aber auch amüsiert, steckt kalkulierte Nacktheit. Mehrere Kandidaten der Show sollen Pornodarsteller sein. Sie sehen in «Naked Attraction» eine Werbeplattform für ihre Filme.
Ähnliche Entwicklungen macht das Fernsehen auch hierzulande durch: Der Schweizer Privatsender 3+ hat schon vor über einem Jahr angekündigt, dass er die Nacktshow «Adam und Eva» importieren will. Kandidaten sucht man noch immer verzweifelt – jetzt auch auf der Homepage.
Alles nur ein Fake?
Für den Winterthurer Ex-Pornoproduzenten Lars Rutschmann (37) ist klar, warum: «Schon für Pornos ist es schwierig, echte Amateure zu verpflichten. Sie sind unzuverlässig, kommen zum falschen Zeitpunkt und verzögern den Dreh.» Auch für eine TV-Show sei es effizienter, Profi-Nacktposer zu rekrutieren. «Sie tun, was man von ihnen verlangt – ohne Wenn und Aber.»
Alles also nur ein grosser Erotik-Fake? «Nackte Anziehung», wie der Titel lautet, ist ein Widerspruch in sich selbst», erklärt Paartherapeut Heer. «Nacktheit stösst eher ab. Das kann man faustdick spüren, während «Naked Attraction» läuft. Sowohl auf dem Bildschirm wie auch im eigenen Bauch beim Zuschauen.» Es gehe am Ende um «Schämen und Fremdschämen».
Die inflationäre Nacktheit überrascht auch Philosoph und SRF-Dokfilmer Alain Godet (65): «Ich hätte nie gedacht, dass sich die Vorstellungen von Sexualmoral so rasend schnell in nichts auflösen.» 1996 habe sich die halbe Schweiz inklusive Nationalrat über seinen Dokfilm «Heidi im Pornoland» entrüstet. «Das wäre heute kalter Kaffee.» Dieser Kulturwandel habe in weniger als zwanzig Jahren stattgefunden. «Schamlippenkorrektur, Tinder-Abenteuer, Arschparaden oder Nipplegate – alles Themen, die breit verhandelt werden.»Und jetzt noch Nacktdating: Ist es das letzte Aufbäumen des Fernsehens vor der digitalen Bedrohung? Am Schluss trafen sich Nancy und ihr Testosteron-Bolzen zum Treffen – in Kleidern. Der gut bestückte Mechaniker fands nicht so toll, dass sie Mami ist, und haute ab. So schnell macht Liebe wieder schlapp.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor