Dr. Klaus Heer

Pfarreiblatt Luzern vom 23. Januar 2018.

Ist Liebe eine Zumutung?


Am 14. Februar spricht der bekannte Paartherapeut Klaus Heer im Hotel Seeburg. Aus Anlass seines Besuches in Luzern hat Klaus Heer für das Pfarreiblatt einen Essay zum Thema Liebe verfasst.

VON KLAUS HEER
«Liebe ist, wenn’s stimmt.» Stimmt das? Wenn die Online- Paarungsagentur Parship das in ihrer Werbung sagt, wird‘s wohl stimmen. Denn «Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Parship!» – Aha. Auch der Schweizer Schriftsteller Thomas Meyer hat kürzlich über die Liebe nachgedacht. «Es muss passen. Aber meistens passt es nicht», schreibt er. Vier von fünf Paaren müssten sich unbedingt trennen, weil sie einander ständig das Leben schwer machten. In seinem neuen Buch «Trennt euch!» kommt er zum Schluss, dass es nicht die Liebe ist, die zwei Menschen verbindet. Wenn zwei Menschen charakterlich und im Denken inkompatibel sind, ist Hopfen und Malz verloren, sagt Meyer. Stimmt das?

Gnadenloser Beziehungsrealismus

Liebe wäre also, wenn‘s stimmt. Das heisst nur alle 11 Minuten irgendwo auf der Welt? Oder nur wenn‘s passt. Also bei 20 Prozent aller Paare? Aber halt! Verliebtheit hat doch eine durchschnittliche Verfallsfrist von 90 Tagen. Und was ist ab dem 91. Tag? Neuer Parship-Auftrag? Oder Single für immer? Ähnlich wie die Meyerschen 80 Prozent, die definitiv nicht passen? Die sollen sich auch wieder auf die Pirsch machen oder was? Irgendwas stimmt hier nicht.

Vielleicht müsste Thomas Meyer über die Bücher gehen und zum Beispiel gelegentlich das neue Buch des schweizerisch-britischen Philosophen und Schriftstellerkollegen Alain de Botton durchblättern. Im Roman «Der Lauf der Liebe» herrscht die unzimperliche Tonart eines gnadenlosen Beziehungsrealismus. De Botton formuliert hier total andere Voraussetzungen für das Gelingen von Paarschaft – weit entfernt von «Matching» und «Zusammenpassen», ja es geht ihm fast um das Gegenteil von Kompatibilität.
Plädoyer für den aufrechten Gang

Mich elektrisiert es, wenn ich da lese, beziehungsfähig sei nur ein Mensch, der im Stande sei, das Eheleben als den Frust hinzunehmen, der es sei. Der zu allererst lieben und nicht geliebt werden wolle. Der nicht danach lechze, verstanden zu werden, sondern selber verstehen wolle. Und der ganz klar wisse, dass er nicht zusammenpasst mit seinem Partner. Kurz, der stark genug sei, sich selbst und dem Partner einzugestehen, dass er verrückt sei. Das ist starker Tobak.

Das heisst doch im Klartext: Als Liebespartner muss ich aufhören, den anderen selbstgerecht zu benörgeln und zu beschuldigen. Mich angegriffen zu fühlen und mich entsprechend zu verteidigen. Mich ständig zu beklagen, dass ich zu kurz komme.

Und das alles nicht, weil ich mich ohnmächtig und unterlegen fühle. Oder weil ich schlapp mache und auf allen Vieren krieche. Ganz im Gegenteil: Weil ich den aufrechten Gang liebe. Standhalten statt davonlaufen, heisst das doch! Nicht aushalten, sondern standhalten. Ja, ich mag diesen konstruktiven Beziehungspessimismus. Diesen unerschrockenen Blick auf den Alltagsirrsinn zu zweit.

Liebe ist ... Liebe ist nicht, wenn’s stimmt oder zusammenpasst. Liebe ist nicht, wenn wir uns feierlich versprochen haben, einander immer auf Händen zu tragen. Nein. Liebe ist, wenn ich genau weiss, dass ich eine Zumutung bin für dich. – Aha.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor