Bieler Tagblatt vom 14. Februar 2019
Online-Dating – Grünlicht fürs Schlaraffenland der Liebe?
Der Berner Paartherapeut und Buchautor Klaus Heer hat schon bei unzähligen Beziehungen geholfen, sie zu reparieren oder zu beenden. Er stellt fest, dass das Online- Dating eine immer grössere Rolle einnimmt. Damit würde sich nicht nur der Ort des Kennenlernens verändern, sondern auch die Ansprüche an einen Partner.
INTERVIEW: HANNAH FREI
INTERVIEW: HANNAH FREI
Klaus Heer, Sie arbeiten seit 45 Jahren als Paartherapeut. Inwiefern haben sich Beziehungen in dieser Zeit verändert?
Klaus Heer: Ich bin kein Soziologie-Profi. Auch kein Kulturpessimist. Mir ist bloss aufgefallen, dass der Liebesperfektionismus ste- tig wächst. Man macht sich die Entscheidung für einen Lebenspartner nicht mehr so leicht wie noch gegen Ende des letzten Jahrtausends. Heute stöbert man sogar manchmal weiter im Netz, während man längst offiziell liiert ist.
Ist dies einer der Gründe, weshalb Paare bei Ihnen Hilfe suchen?
Es ist auffällig, dass sich immer mehr Men- schen in festen Beziehungen insgeheim mit dem Gedanken quälen, es müsste «noch et- was Besseres» geben, nämlich den Partner, den sie eigentlich verdient hätten. Diese innere Unruhe macht sie zu schwer erträglichen Lebensgefährten.
Inwiefern hat das Online-Dating diese Entwicklung beeinflusst?
Vermutlich besteht hier eine Wechselwirkung: Die digitale Paarungsindustrie lebt vom gesteigerten Optimierungstraum bei der Partnersuche. Und die weitverbreiteten Sehnsüchte nach der «grossen Liebe» haben das boomende Online-Dating hervorgebracht. Niemand will allein sein oder gar einsam.
Was macht eigentlich diese Art der Partnersuche so attraktiv?
Digitale Plattformen helfen rasch und effizient mit, Alleinsein und Einsamkeit zu bekämpfen. Wer Internet-Zugang hat, braucht nicht mehr trist zu Hause herumzusitzen. Er kann sich sein Glück selber schmieden. Und das gibt einem ein gutes Gefühl.
Wie mischen die Paarungs-Tools dabei mit?
Dating-Seiten und Paarungs-Apps haben die Fahndung nach einem geliebten Menschen tatsächlich zu einem veritablen Volkssport werden lassen. Sehr zum Vergnügen der Anbieter, die sich mit verfänglichen Verkaufsargumenten Zugang zu den tiefsten Herzenswünschen ihrer künftigen Kundschaft verschaffen.
Was sind das für Herzenswünsche?
Eigentlich sind das Glücksvorstellungen, die sich vermeintlich leicht und schnell realisieren lassen. Es geht um die Illusion, man bekomme grünes Licht für ein unbegrenztes Schlaraffenland der Liebe, und dort könne man sich aus vollem Herzen bedienen. Mit der ganz grossen Liebe. Mit dem ganz grossen Glück.
Sind denn Dating-Sites und Kuppler-Apps keine Bereicherung der Partnersuche?
Doch, sicher! Heute ist niemand mehr darauf angewiesen, seinen ersehnten Schatz fürs Leben oder fürs Bett am Bürokopierer, in der SAC-Hütte oder an der Fasnacht zu suchen und zu finden. Das amouröse Jagdrevier hat sich mächtig ausgedehnt. Das macht zunächst Freude. Und stimmt hoffnungsvoll.
Am Computer jemanden anzuschreiben, den man nicht kennt, fällt meist leichter als der direkte Kontakt. Macht Online-Dating die Partnersuche also einfacher?
Ja, die Kontaktschwellen sind deutlich niedriger. Aber der Erfolg der Suche ist damit nicht im selben Masse greifbarer geworden.
Warum nicht?
Das haben mir viele Leute eindrücklich berichtet, sowohl privat als besonders auch in der Praxis. Die abrufbaren Menschenkataloge sind uferlos, höre ich. Sie überfordern, ermüden. Und nerven schliesslich. Partnersuche am Bildschirm ist Schwerarbeit.
Dennoch kommen offenbar viele Leute auf diesem Weg zu ihrem Liebesglück.
Ja, die mit dem solidesten Sitzleder und mit der grössten Frusttoleranz! Die sprachlich überdurchschnittlich Begabten sind auch bevorzugt. Wer sich schriftlich gut ausdrücken kann – mit Herz und Hirn, der geniesst einen evolutionären Vorsprung.
Klaus Heer: Ich bin kein Soziologie-Profi. Auch kein Kulturpessimist. Mir ist bloss aufgefallen, dass der Liebesperfektionismus ste- tig wächst. Man macht sich die Entscheidung für einen Lebenspartner nicht mehr so leicht wie noch gegen Ende des letzten Jahrtausends. Heute stöbert man sogar manchmal weiter im Netz, während man längst offiziell liiert ist.
Ist dies einer der Gründe, weshalb Paare bei Ihnen Hilfe suchen?
Es ist auffällig, dass sich immer mehr Men- schen in festen Beziehungen insgeheim mit dem Gedanken quälen, es müsste «noch et- was Besseres» geben, nämlich den Partner, den sie eigentlich verdient hätten. Diese innere Unruhe macht sie zu schwer erträglichen Lebensgefährten.
Inwiefern hat das Online-Dating diese Entwicklung beeinflusst?
Vermutlich besteht hier eine Wechselwirkung: Die digitale Paarungsindustrie lebt vom gesteigerten Optimierungstraum bei der Partnersuche. Und die weitverbreiteten Sehnsüchte nach der «grossen Liebe» haben das boomende Online-Dating hervorgebracht. Niemand will allein sein oder gar einsam.
Was macht eigentlich diese Art der Partnersuche so attraktiv?
Digitale Plattformen helfen rasch und effizient mit, Alleinsein und Einsamkeit zu bekämpfen. Wer Internet-Zugang hat, braucht nicht mehr trist zu Hause herumzusitzen. Er kann sich sein Glück selber schmieden. Und das gibt einem ein gutes Gefühl.
Wie mischen die Paarungs-Tools dabei mit?
Dating-Seiten und Paarungs-Apps haben die Fahndung nach einem geliebten Menschen tatsächlich zu einem veritablen Volkssport werden lassen. Sehr zum Vergnügen der Anbieter, die sich mit verfänglichen Verkaufsargumenten Zugang zu den tiefsten Herzenswünschen ihrer künftigen Kundschaft verschaffen.
Was sind das für Herzenswünsche?
Eigentlich sind das Glücksvorstellungen, die sich vermeintlich leicht und schnell realisieren lassen. Es geht um die Illusion, man bekomme grünes Licht für ein unbegrenztes Schlaraffenland der Liebe, und dort könne man sich aus vollem Herzen bedienen. Mit der ganz grossen Liebe. Mit dem ganz grossen Glück.
Sind denn Dating-Sites und Kuppler-Apps keine Bereicherung der Partnersuche?
Doch, sicher! Heute ist niemand mehr darauf angewiesen, seinen ersehnten Schatz fürs Leben oder fürs Bett am Bürokopierer, in der SAC-Hütte oder an der Fasnacht zu suchen und zu finden. Das amouröse Jagdrevier hat sich mächtig ausgedehnt. Das macht zunächst Freude. Und stimmt hoffnungsvoll.
Am Computer jemanden anzuschreiben, den man nicht kennt, fällt meist leichter als der direkte Kontakt. Macht Online-Dating die Partnersuche also einfacher?
Ja, die Kontaktschwellen sind deutlich niedriger. Aber der Erfolg der Suche ist damit nicht im selben Masse greifbarer geworden.
Warum nicht?
Das haben mir viele Leute eindrücklich berichtet, sowohl privat als besonders auch in der Praxis. Die abrufbaren Menschenkataloge sind uferlos, höre ich. Sie überfordern, ermüden. Und nerven schliesslich. Partnersuche am Bildschirm ist Schwerarbeit.
Dennoch kommen offenbar viele Leute auf diesem Weg zu ihrem Liebesglück.
Ja, die mit dem solidesten Sitzleder und mit der grössten Frusttoleranz! Die sprachlich überdurchschnittlich Begabten sind auch bevorzugt. Wer sich schriftlich gut ausdrücken kann – mit Herz und Hirn, der geniesst einen evolutionären Vorsprung.
Wie meinen Sie das?
Bei der digitalen Partnersuche, zum Beispiel via Parship, spielen körperliche Vorzüge eine etwas bescheidenere Rolle als im richtigen Leben. Die sogenannten inneren Werte kommen deutlicher zum Zug. Zwei Leute, die erst mal ausführlich hin und her schreiben, lernen sich gründlicher und intimer kennen, als das auf der freien Wildbahn möglich ist.
Das heisst, man kann im Netz gezielter suchen?
Genau. Das ist wahrscheinlich das grösste Plus des Online-Datings. Die Wunschvorstellungen können noch so speziell sein, man kann seine Suchkriterien präzise eingrenzen. Bis vor 20 Jahren konnte man auf dem Partner-Markt höchstens zufällig jemanden finden, der zum Beispiel erotisch auf Füsse abfuhr oder Mitglied einer seltenen religiösen Gemeinschaft war.
Sind diese neuen Möglichkeiten auch ein Grund dafür, weshalb die Ansprüche bei der Partnersuche gewachsen sind?
Gut möglich. Der gesuchte Liebling muss unbedingt passen. Genau passen! Damit werben die Kuppler-Plattformen gerne und fleissig für sich. Manche von ihnen behaupten allen Ernstes, ihre Algorithmen basierten auf «wissenschaftlichen Erkenntnissen». So sei es möglich, ja beinahe gesichert, dass zusammenfinde, wer zusammengehöre.
Gleich und Gleich gesellt sich also gern?
Ja, aber ich bin ganz sicher, dass es die beiden Gleich und Gleich in ihrer Partnerbiografie keinesfalls einfacher haben werden als die Zwei, die sich als Gegensätze gefunden haben. Jede Liebe hat die gleichen Startchancen. Und die gleichen grossen Herausforderungen.
Und die Paarungs-Algorithmen ...
... sind religiös-romantische Verlockungen, um mit den Gläubigen ins Geschäft zu kommen. Viele Leute glauben nämlich wirklich, dass es da draussen irgendwo den Menschen gibt, der für sie «bestimmt» ist. Die Matching- Algorithmen kommen ihnen gerade recht, um angeblich ihren Traumpartner ausfindig zu machen.
Das würde heissen, dass sich der Begriff «Liebe» im Umfeld des schnelllebigen Online-Datings verändert hat.
Jeder versteht unter «Liebe» etwas anderes. Und jeder ist überzeugt, dass seine persönliche Definition von «Liebe» mindestens auch für sein «geliebtes» Gegenüber genauso gelte. Wenn nicht sogar für alle.
Also gibt es keine allgemeingültige «Liebe»?
Wenn man Liebe als intime Wohlfühloase im Kopf hat, wird es echt mühsam, sobald die unvermeidlichen Alltagsklippen des Zusammenlebens auftauchen. Viele haben vergessen, was sie sich auf dem Standesamt oder in der Kirche einst paarselig versprochen hatten: «In guten und in bösen Tagen ...». Liebe ist in erster Linie keine weichgezeichnete Emotion, sondern eine tapfere Entscheidung.
Was genau hat sich denn nun gewandelt?
Der Mainstream-Liebesbegriff ist in den letzten Jahren immer verschwommener und verträumter geworden. Gleichzeitig bekomme ich mit, dass es immer weniger gelingt, die selbstgesetzte Latte des Paarglücks zu schaffen. Es gibt unendlich viele unglückliche Paare.
Was macht sie unglücklich?
Sie sind enttäuscht, weil ihre online aufgeheizten Zweisamkeits-Fantasien offensichtlich unerfüllbar bleiben. Aus ihrer Enttäuschung wird allmählich einsame Resignation. Das belastet die Beziehung chronisch.
So lernen Sie sie dann in Ihrer Praxis kennen.
Ja, die Mutigsten von ihnen.
Die Mutigsten?
Wer gemeinsam einen gründlichen Neustart der Beziehung wagt, hat schon halb gewonnen. Dieser Neustart hat aber nichts mit dem ursprünglichen Start zu tun. Mich interessiert nicht, ob diese konkrete Liebesgeschichte einst analog oder digital in Gang gekommen ist. Ganz einfach: Die Liebe gehört den Beherzten.
Bei der digitalen Partnersuche, zum Beispiel via Parship, spielen körperliche Vorzüge eine etwas bescheidenere Rolle als im richtigen Leben. Die sogenannten inneren Werte kommen deutlicher zum Zug. Zwei Leute, die erst mal ausführlich hin und her schreiben, lernen sich gründlicher und intimer kennen, als das auf der freien Wildbahn möglich ist.
Das heisst, man kann im Netz gezielter suchen?
Genau. Das ist wahrscheinlich das grösste Plus des Online-Datings. Die Wunschvorstellungen können noch so speziell sein, man kann seine Suchkriterien präzise eingrenzen. Bis vor 20 Jahren konnte man auf dem Partner-Markt höchstens zufällig jemanden finden, der zum Beispiel erotisch auf Füsse abfuhr oder Mitglied einer seltenen religiösen Gemeinschaft war.
Sind diese neuen Möglichkeiten auch ein Grund dafür, weshalb die Ansprüche bei der Partnersuche gewachsen sind?
Gut möglich. Der gesuchte Liebling muss unbedingt passen. Genau passen! Damit werben die Kuppler-Plattformen gerne und fleissig für sich. Manche von ihnen behaupten allen Ernstes, ihre Algorithmen basierten auf «wissenschaftlichen Erkenntnissen». So sei es möglich, ja beinahe gesichert, dass zusammenfinde, wer zusammengehöre.
Gleich und Gleich gesellt sich also gern?
Ja, aber ich bin ganz sicher, dass es die beiden Gleich und Gleich in ihrer Partnerbiografie keinesfalls einfacher haben werden als die Zwei, die sich als Gegensätze gefunden haben. Jede Liebe hat die gleichen Startchancen. Und die gleichen grossen Herausforderungen.
Und die Paarungs-Algorithmen ...
... sind religiös-romantische Verlockungen, um mit den Gläubigen ins Geschäft zu kommen. Viele Leute glauben nämlich wirklich, dass es da draussen irgendwo den Menschen gibt, der für sie «bestimmt» ist. Die Matching- Algorithmen kommen ihnen gerade recht, um angeblich ihren Traumpartner ausfindig zu machen.
Das würde heissen, dass sich der Begriff «Liebe» im Umfeld des schnelllebigen Online-Datings verändert hat.
Jeder versteht unter «Liebe» etwas anderes. Und jeder ist überzeugt, dass seine persönliche Definition von «Liebe» mindestens auch für sein «geliebtes» Gegenüber genauso gelte. Wenn nicht sogar für alle.
Also gibt es keine allgemeingültige «Liebe»?
Wenn man Liebe als intime Wohlfühloase im Kopf hat, wird es echt mühsam, sobald die unvermeidlichen Alltagsklippen des Zusammenlebens auftauchen. Viele haben vergessen, was sie sich auf dem Standesamt oder in der Kirche einst paarselig versprochen hatten: «In guten und in bösen Tagen ...». Liebe ist in erster Linie keine weichgezeichnete Emotion, sondern eine tapfere Entscheidung.
Was genau hat sich denn nun gewandelt?
Der Mainstream-Liebesbegriff ist in den letzten Jahren immer verschwommener und verträumter geworden. Gleichzeitig bekomme ich mit, dass es immer weniger gelingt, die selbstgesetzte Latte des Paarglücks zu schaffen. Es gibt unendlich viele unglückliche Paare.
Was macht sie unglücklich?
Sie sind enttäuscht, weil ihre online aufgeheizten Zweisamkeits-Fantasien offensichtlich unerfüllbar bleiben. Aus ihrer Enttäuschung wird allmählich einsame Resignation. Das belastet die Beziehung chronisch.
So lernen Sie sie dann in Ihrer Praxis kennen.
Ja, die Mutigsten von ihnen.
Die Mutigsten?
Wer gemeinsam einen gründlichen Neustart der Beziehung wagt, hat schon halb gewonnen. Dieser Neustart hat aber nichts mit dem ursprünglichen Start zu tun. Mich interessiert nicht, ob diese konkrete Liebesgeschichte einst analog oder digital in Gang gekommen ist. Ganz einfach: Die Liebe gehört den Beherzten.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor