Dr. Klaus Heer

Zeitung im Espace Mittelland vom 11. Oktober 2004
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«Herr Heer, ist Ihre Frau mit Ihnen glücklich?»

Mit dem Sommer verschwinde ein Stück Paradies, sagt Klaus Heer. Der Paartherapeut mit Praxis in Bern hilft Eheleuten, den Platz an der Sonne wiederzufinden, wenn auch die Beziehung abgekühlt ist.

INTERVIEW: MARIANNE GERTSCH-SCHOCH
Herr Heer, haben Sie Angst vor Hunden?
Klaus Heer: Nicht Angst, aber sie stören mich. Deshalb will ich, dass Hunde, aber auch Babies, nicht in meine Praxis mitgenommen werden. Zudem stinken sie häufig, die Hunde. Und Babies sind nie ruhig, das würde mich ablenken.

Was kann Sie nach 30 Praxisjahren sonst noch verunsichern?
Wenn Mann und Frau übermässig aggressiv aus der Schiessscharte heraus aufeinander lospulvern, und die Krise bereits versteinert ist. Das sind Extremfälle, die mir den Beruf verleiden könnten. Zum Glück kommt das selten vor.

Wo benötigen Herr und Frau Schweizer therapeutische Hilfe, und wie gehen Sie vor?
Das Hauptproblem ist, dass sich zwei nicht zuhören, einander nicht verstehen. Dabei leiste ich Übersetzungshilfe. Ich lasse ein
«Ich höre nicht Vorwürfe, ich höre die Not, das Elend.»
Paar zuerst reden. Nach zehn Minuten fangen die Wiederholungen mit Angriff und Verteidigung an, und ich sage etwa: «Ich höre nicht Vorwürfe, ich höre die Not, das Elend.» Dann beginnt der anspruchsvolle Weg zur Verständigung.

Als weitherum einziger Psychologe bieten sie ausschliesslich Paartherapie an. Ist es nicht schwieriger, offen zu reden, wenn der Partner mithört?
Es ist ganz klar schwieriger, aber kein Nachteil. Was hier abgeht, ist ohnehin oft verstörend. Es wird geheult und geschnupft – deshalb die Taschentücher und Plüschtiere, der grosse Abstand zwischen den Sesseln: Viel Platz, um sein Inneres auszubreiten. Ich halte nichts von Prophylaxe, denn ohne Leidensdruck verändert sich nichts.

Dagegen sprechen Sie in Ihrem Buch «Ehe, Sex und Liebesmüh», in dem Paare ihre intimsten Praktiken verraten, nur unter vier Augen mit den Protagonisten. Wer also erzählt die Wahrheit: wer allein reden kann, oder wer sich vor dem Partner aussprechen muss?
Es gibt immer mehrere Wahrheiten. Sehen Sie die Trennlinie auf dem Teppich? (zeigt auf einen goldenen Faden, der zwischen den Ehepaar-Stühlen liegt und auf den dritten, auf den Therapeuten-Stuhl weist). Wo zwei Menschen unter einem Beziehungs-Dach wohnen, muss Platz für zwei Wahrheiten sein.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie fleischliche Beziehungen auswärts gesucht werden. Raten Sie in der Therapie auch zum Seitensprung?
Niemals! Das wäre ja selbstmörderisch für die Beziehung, die Probleme würden sich glatt verdoppeln. Wobei – die Erschütterung des Fremdgehens hat in vielen Beziehungen sehr heilsame Auswirkungen.

Beim Lesen Ihrer Interviews gewinnt man den Eindruck, Sie seien ein lüsterner Beichtvater. Ist Ihnen die Rolle als Voyeur eigentlich nie peinlich?
Überhaupt nicht, denn es geht mir wie allen Leuten: Mich interessiert, wie es andere machen. Ich habe keine Hemmungen, alles zu fragen. Auch das Intimste.

Wie bringen Sie zurückhaltende Menschen zum Reden?
Ein Wort gibt das andere! Und ich bin sehr interessiert.

Wer kommt zu Ihnen?
Die Elite der Paare, die motiviert ist, in die Beziehung zu investieren, auch finanziell. Ich bin nicht billig, aber günstiger als ein Anwalt. Zu meiner grössten Überraschung sind es neuerdings 80 Prozent die Männer, die sich anmelden. Das ist aber erst so, seit ich eine Homepage habe.

Was erhoffen sich Frauen, was Männer von Ihrer Beratung?
Was Frauen wünschen, steht in vielen Beziehungs-Fachbüchern; es ist leicht nachvollziehbar. Ich verstehe mich aber auch gut mit den Männern, weiss, dass sie es
«Ich bin nicht billig, aber günstiger als ein Anwalt.»
leid sind, kritisiert zu werden, dass viele mehr Sex möchten. Und zwar nicht als Belohnung, weil sie brav waren. Vielleicht wird die Sexualität erst in 100 bis 200 Jahren als Aufwind in den Beziehungen entdeckt.

Sie sind alles andere als ein todernster Seelenklempner. Bereitet es Ihnen Vergnügen, fremde Probleme anzuhören?
Ja, es ist sehr spannend, und die Leute sind oft unfreiwillig komisch. Häufig ist es hilfreich, wenn wir zu dritt lachen können.

Wie geht es einem Paar nach der Sitzung?
Die meisten sind erschöpft, viele erleichtert – und andere kämpfen im Treppenhaus weiter.
Nehmen Konflikte im Herbst zu?
Es ist tatsächlich so, dass mit der kühleren Jahreszeit ein Stück Paradies verloren geht. Vielleicht tankt man im Süden noch einmal Sonne, aber dann ist definitiv Schluss mit der Wärme. Vor allem die Weihnachtszeit ist vielerorts schwierig.

Wer ist nicht therapierbar?
Wer sich nicht eingestehen will, dass er beinah unzumutbar ist, und die Schuld nur beim anderen sucht. Einigen ist die Hürde für eine Veränderung zu hoch, und sie bleiben lieber im vertrauten Unglück.

Verraten Sie uns in Ihrem dritten Buch, an dem Sie derzeit arbeiten, wie eine glückliche Ehe funktioniert?
Nein. Ich bin wiederum der voyeuristische Beobachter aus radikal subjektiver Sicht und interviewe Einzelpersonen aus 20- bis 55-jährigen Partnerschaften. Es hat diesmal weniger, aber natürlich auch mit Sex zu tun. Mir fehlt für meine tagebuchartigen Interviews im Chatroom nur noch ein lesbisches Paar.
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Seit 1968 haben Sie in Radiosendungen und Büchern auf unverblümte Art sexuelle Aufklärung betrieben, waren für Sittenwächter die nackte Provokation. Wer hat Ihnen deswegen die Liebe gekündigt?
Wahrscheinlich viele (lacht)! Vor allem aber die damaligen Radiochefs, die mich schliesslich untragbar fanden.

Sie wuchsen in der Innerschweiz als ältestes von 12 Bauernkindern streng katholisch auf. Sind Sie der verlorene Sohn?
Vielleicht ... Ich weiss es nicht. Bestimmt bin ich nicht so herausgekommen, wie meine Eltern sich das vorgestellt haben.

In Ihrem zweiten Buch «Wonne- Worte» reden Sie über die «Lustvolle Entführung aus der sexuellen Sprachlosigkeit». Ihre Dialoge für das Liebesspiel kommen sowohl aus der Porno-Ecke ...
... Sie haben noch nie einen Porno-Streifen gesehen ...
«Ich will nicht zum Sexexperten verkürzt werden. Ich bin Paartherapeut.»
... als auch wie hausbackene Bastelanleitungen daher. Welche Frau, Herr Heer, will denn einen solchen Palaveri im Bett?
Das ist Geschmacksache. Jeder soll reden, was ihm gefällt, und ich mache ja mehrere Vorschläge. Ich finde es einfach abstrus, dass sich ein Paar nur zwischen den Beinen nahe kommen soll und oben, auf Augen- und Herzhöhe, ist man so weit weg voneinander!

Stichwort Herz: Sie betonen immer, man solle seinen Partner ganz direkt fragen, ob er glücklich sei. Ist Ihre Frau mit Ihnen glücklich?
Darauf antworte ich nicht. Unsere Partner haben ein legitimes Schutzbedürfnis ...

Ist es Ihnen unangenehm, selber befragt zu werden? Jedenfalls höre ich viel lieber zu.

Wollen Sie trotzdem noch etwas anfügen?
Ja, ich möchte nicht zum Sexexperten verkürzt werden. Ich bin Paartherapeut
ZUR PERSON Seit 30 Jahren Praxis in Bern

Klaus Heer wurde 1943 in Luzern als ältestes von 12 Bauernkindern geboren. Er absolvierte das Psychologiestudium in Hamburg und Bern. Mit Radiosendungen wie «Sind Sie sinnlich?» erregte er Aufmerksamkeit, ebenso mit seinem 1995 erschienenen Buch «Ehe, Sex und Liebesmüh» (Scalo). 2000 folgte «WonneWorte» (Rowohlt). Ein drittes Buch ist in Arbeit. Seit 30 Jahren führt Heer eine Praxis für Paartherapie in Bern. Der Psychologe ist in zweiter Ehe verheiratet mit der Psychologin Muriel Kämpfen. Das Paar hat zwei Töchter. mgs
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor