Dr. Klaus Heer

Leben & Glauben und Sonntag vom 19. Januar 2012

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Warum Menschen prunkvoll heiraten

Was der Paartherapeut sagt

INTERVIEW: MARIANNE WEYMANN
Klaus Heer, Hochzeiten sind teuer. Oft werden dafür über 30 000 Franken ausgegeben. Was bewegt Brautpaare zu diesem finanziellen Aufwand?
Mir leuchtet das ein: Für viele Paare ist Heiraten das Grösste. Die Hochzeit gilt allgemein und sprichwörtlich als «der schönste Tag des Lebens». Da lässt man sich nicht lumpen.

Aber gleich so viel ... das ist doch verrückt!
Genau diese Unvernunft macht den einmaligen Charme des populären Hochzeitsprunks aus. Von den ärmsten Gegenden der Erde weiss man, dass dort sogar noch viel üppiger geheiratet wird als bei uns. Hier wie dort kommt dem Vermählungsritual unverhältnismässig viel Bedeutung zu.

Und wofür steht dann dieser ganze hochzeitliche Pomp?
Zwischen Geburt und Tod markiert die Heirat einen der gewichtigsten biografischen Wende- punkte. Alle Kulturen der Welt feiern diese Anlässe ausgiebig. Meistens haben diese Feiern einen religiösen Anstich. Oder zumindest einen pseudoreligiösen Unterton.

Sie meinen das Erscheinen vor dem Traualtar?
Nicht nur das. Auch diese ganze minutiöse und andächtige Vorbereitung der Hochzeit, die Verkündigung der frohen Botschaft an Verwandte und Freunde, die Opfergaben und Geschenke für das Brautpaar, überhaupt die prächtige Feierlichkeit des Anlasses, das prunkvolle Abendmahl samt den berauschenden Getränken, die bewegende Musik und die rituellen Tänze. Und so weiter. Herz und Seele sind dabei wie selten sonst: Es fliessen viele Tränen ...

... und eben auch beachtliche Geldströme.
Gewiss. Denn was nichts kostet, ist auch nichts wert. Glaubt man. Vielleicht glaubt man sogar: Wenn wir jetzt das Startkapital der Ehe mächtig aufstocken, glückt das ganze eheliche Unter- nehmen eher.
Ist das nicht purer Aberglaube?
Richtig an dem Gedanken ist die Erkenntnis, dass das Gelingen jeder Beziehung investitions- abhängig ist – abgesehen davon, dass jedes Paar auch noch viel Glück braucht, wenn die Ehe geraten soll. Niemand weiss allerdings, was eine konkrete Beziehung braucht, um glücklich zu sein und zu bleiben. Ich vermute, dass just die Beziehungsbeiträge, die kein Geld kosten, die Ehe reich machen: Zeit haben füreinander, den anderen anhören, mutig und geduldig sein.
«Von den ärmsten Gegenden der Erde weiss man, dass dort sogar noch viel üppiger geheiratet wird als bei uns»
Inzwischen wird in der Schweiz die Hälfte aller Ehepaare geschieden. Trotzdem wird weiter munter mit der grossen Hochzeitskelle angerührt ...
Trotzdem? Nein. Kein Paar, das sich «für immer» zusammentut, rechnet damit, dass es vielleicht selbst einmal die Scheidungszahlen in die Höhe treiben wird. Kaum jemand lässt sich von den regelmässigen betrüblichen Daten des Bundesamtes für Statistik vom Jawort abhalten. Man heiratet, weil die Liebe unvernünftig ist. Am liebsten so barock wie möglich.

Das könnte bedeuten, dass man ebenso barock wie blind ins Ehe- Abenteuer stolpert.
Das wäre nicht weiter schlimm. Daran würde keine einzige Ehe zerbrechen. Zu Bruch gehen unsere Beziehungen, weil wir nicht merken, wie viel wir uns zu schenken hätten. Wir lassen uns vielmehr die ganze Zeit von dem drängenden Gefühl überwältigen, zu kurz zu kommen. Unsere kindliche Bedürftigkeit macht uns abhängig voneinander. Zwei Bettler heiraten einander in pompöser Verkleidung.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor