Dr. Klaus Heer

mama-Magazin 1-2012
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«Eine Sexflaute ist kein Beziehungsbankrott»

INTERVIEW: SIMONE NISSEN
Sobald sich der Nachwuchs ankündigt, sind werdenden Eltern zwei Kommentare sicher: «Schlaft euch vorher noch mal gut aus!» «Na ja, mit Sex ist ja dann erst mal Essig». So weit, so gut. Aber wie lässt sich die babybedingte Sexflaute denn überwinden? In «mama» beantwortet Paartherapeut Klaus Heer Fragen, die sich viele Mütter vielleicht schon einmal gestellt haben, aber ungern aussprechen.
mama: Dass man als Frau kurz nach der Geburt wenig Lust auf Sex hat, scheint ja ein verbreitetes Phänomen zu sein. Ist das von der Natur so gewollt?
Klaus Heer: Sehen Sie es einmal so: In unseren Köpfen haust die Vorstellung, dass man natürlicherweise jederzeit Sexlust haben müsse. Auch dann, wenn die Sexualität ihre Pflicht erfüllt und uns strapaziöse Nachkommen beschert hat. Was schräger ist, unsere fixen Ideen oder der Schöpfungsplan der Natur, weiß ich nicht.

Für manche ist es sehr gewöhnungsbedürftig, den Nachwuchs im Nebenzimmer zu wissen, wenn es im Schlafzimmer zur Sache gehen soll. Was hilft?
Nichts. Ich kenne sehr viele Mütter, die im Zweifel immer zuerst Mutter sind und nicht etwa hingebungsvolle Sexgespielin. Das scheint oft unverrückbar in der mütterlichen Hardware verankert zu sein. Der Mann, den das nervt, macht aus einer simplen Gegebenheit ein unlösbares Problem.

Was würde passieren, wenn man sich nur seinem Partner zuliebe auf Sex einlässt, obwohl man gar nicht will?
Wenn Sie das können – gänzlich freiwillig und mit offenem Herzen –, wunderbar! Dann könnten Sie Ihre sexuelle Begegnung spielerisch nehmen, und wahrscheinlich käme dann der Appetit beim Essen.

Angenommen, ihr ist partout nicht danach, und er beschwert sich darüber. Wie soll sie sich verhalten?
Er möchte Sie verführen. Weil er Sie liebt. Aber er macht es ungeschickt. Denn Druck ist der größte Killer der körperlichen Liebe. Offenbar ist es nötig, dass Sie ihm erklären, wie Sie gemacht sind und was Sie konkret brauchen, um erotisch aufzublühen.

Kann eine dauerhafte Sexflaute eine Beziehung zerstören?
Ja, sicher. Obwohl die Sexualität, objektiv gesehen, keinesfalls eine tragende Säule einer Beziehung ist. Eine Sexflaute ist eine Sexflaute, nichts weiter. Sie ist kein Beziehungsbankrott. Eher vergleichbar mit einer Brachzeit, und diese ist Voraussetzung für neue Blüten. Das alles wissen viele Paare nicht. Sie reagieren panisch und selbstzerstörerisch auf ihre zeitweise Sexstille.
Wann ist ein Punkt erreicht, an dem man sich ernsthaft Sorgen um sein Liebesleben machen sollte?
Hinter dieser Frage vermute ich die Angst, der Mann könnte wegen sexueller Unterversorgung das Weite suchen und fremdgehen. Ja, dieses Risiko besteht. Es besteht immer. Kein Paar bleibt verschont. Die Erotik in festen Beziehungen ist launisch, unberechenbar und gleichzeitig investitionsabhängig.

Welche Investitionen helfen denn eher: reden oder Taten sprechen lassen?
Der unentbehrlichste Rohstoff der Liebe ist die Zeit. Ohne ein Minimum an gemeinsamer Zeit geht es nicht. Und was oft vergessen wird: Beide Partner brauchen auch ein Restchen Zeit für sich selbst. Unbedingt. Was mich seit Jahrzehnten immer wieder staunen lässt: Fast alle Paare, die «absolut keine Zei» füreinander haben, schalten regelmäßig den Fernseher ein, um «abzuschalten».

Gibt es einen Trick, um das Liebesleben wieder in Gang zu bringen?
Schauen Sie in Ihrer gemeinsamen Schatztruhe nach. Was haben Sie am Beziehungsstart miteinander geliebt, genossen und gefeiert – und jetzt im Lauf Ihrer Liebesgeschichte fallen lassen, vergessen und verloren? Wühlen Sie gemeinsam in den alten Schätzen!

Macht es Sinn, sich zum Sex zu verabreden?
Ein innereheliches Date ist wunderbar. Alles ist da, mitsamt der Vorfreude.
Dr. Klaus Heer (68) ist Psychologe und Paartherapeut in Bern. Er veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge in verschiedenen Medien. 1995 er- schien sein Bestseller «Ehe, Sex & Liebesmüh» (wiederaufgelegt beim Salis Verlag 2011), gefolgt von den Büchern «WonneWorte», «Paarlauf – Wie einsam ist die Zweisamkeit?» und «Klaus Heer, was ist guter Sex?» (Wörterseh Verlag 2009). Mehr Infos unter www.klausheer.com
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor