Dr. Klaus Heer

St. Galler Tagblatt vom 16. August 2012
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Wand weg, Probleme da

Architektur In Hotelzimmern fehlt immer häufiger die Trennwand zwischen Bad und Schlafzimmer. Für Paare kann das echt blöd sein.

CATHRIN MICHAEL
Anna und Fabio sind ein Paar. Noch nicht lange, aber lange genug, um das erste Mal gemeinsam in die Ferien zu fahren. Am Mittelmeer mieten sie ein Auto und fahren von Stadt zu Stadt. Sie baden, halten Händchen und trinken Rotwein. Ferien seien ein Test für die Beziehung, sagt man – und diesen scheinen Anna und Fabio zu bestehen. Dann die Ankunft im dritten Hotel. Das Zimmer: modern, ein grosses Bett, an der Wand hängt ein Flachbildschirm, aber – die Türe zum Badezimmer fehlt. Wer auf dem Bett liegt, sieht direkt in die Dusche. Das WC steht immerhin um die Ecke der Trennwand, aber abschliessen kann man nichts. Anna schluckt leer, denn sie muss dringend mal. Fabio stellt den Koffer hin, murmelt etwas von «jetzt eine Zigarette» und verschwindet. Anna setzt sich auf die WC-Brille und hofft nur eines: Dass das Rauchen lange genug dauert.

Es geht um das Erlebnis

Badezimmer ohne Wände trifft man in Hotels immer häufiger an. «Offene Badezimmer sind ein weltweiter Trend, auch in der Schweiz», sagt Alexander Rechsteiner von Hotelleriesuisse. «In den meisten Neubauten werden Hotelzimmer mit offenem Badezimmer konzipiert. Sie sind ein zentraler Teil des Hotelerlebnisses.»

«Das dicke Geschäft ist zu dick»

Nicht nur für Anna und Fabio ist es ein Problem, dass es zwischen Bad und Schlafzimmerzimmer öfter keine Wand mehr hat – sie, die lieber einen Moment lang alleine wäre, er, der sich verschämt verdrückt. Auch nicht verliebten, sondern befreundeten Menschen, die sich ein Zimmer teilen, kann die ungewollte Nähe ziemlich komisch vorkommen. Für den Paarpsychologen Klaus Heer sind diese Hotelzimmer schlicht unverständlich. «Jeder Partner ist ja in mehrfacher Weise eine Zumutung für den anderen», sagt er. Liegt der Mann im Bett und die Frau duscht gleich daneben, sei das noch in Ordnung. Aber: «Das dicke Geschäft ist zu dick.»
Es sei eine romantische Illusion zu glauben, «je mehr wir zusammen sind, umso intimer sind wir», sagt Heer. «Das ist in Wirklichkeit Psychofolter. Wo’s immer weniger Türen gibt, gehen wir uns immer mehr auf den Nerv.» Habe man keinen Rückzugsort mehr, könne das zum Problem werden. «Die meisten Beziehungen scheitern an zu viel Nähe», erklärt er.

Anna und Fabio sind nur in den Ferien – eine Ausnahmesituation also für die beiden. Es gibt aber auch Menschen, die sich in ihrem Zuhause ein offenes Bad wünschen. Cyrill Bischof, Architekt mit eigenem Büro «Bischof Partner Architektur AG» in Romanshorn, hat bereits solche gebaut. «Fasst man zwei kleine Räume zusammen, wirkt das viel grosszügiger», sagt er. In den 90er-Jahren habe man den Wohn- und Essbereich zusammengelegt, heute stelle man die Badewanne am liebsten mitten ins Schlafzimmer.

Eigenheimbauer machen’s nach

«Die Bauherren haben anfangs skeptisch geschaut, aber langsam gewöhnen sie sich dran», sagt Bischof. Er beobachte diese Mode in den Hotels und glaubt, dass die Eigenheimbauer nun vermehrt nachziehen. «Wichtig ist, dass die Bewohner den gleichen Tagesrhythmus haben. Will der eine um sechs Uhr duschen und der andere weiterschlafen, ist das kompliziert.» Er glaubt jedoch, die heutigen Paare seien offen genug, um so zu wohnen. «Das einzig Problematische ist das offene WC», sagt er und schmunzelt. «Das Stichwort Gschmäckli ist natürlich ein Thema.» Er glaubt aber: «Das WC wird weiterhin in einem separaten Raum oder einer Nische stehen.»

Anna und Fabio sind auch nach den Ferien noch ein Paar – trotz offenem Badezimmer. Wenn sie das nächste Mal in die Ferien fahren, werden sie sich nach einem nicht ganz so modernen Hotel umsehen oder es so machen wie viele andere: Sie benützen einfach das WC in der Hotellobby.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor