Bluewin-Magazin 1. Oktober 2015
Klaus Heer: «Jeder Streit ist überflüssig und zerstörerisch»
Dass eine «gesunde Streitkultur» eine Beziehung verbessert, hält Paartherapeut Klaus Heer für einen romantisierten – und gefährlichen – Irrgauben vieler Paare. Er sieht die tiefere Ursache einer Beziehungskrise woanders: Durch ein liebloses Klima, das Empfindlichkeiten und Null-Toleranz produziert. Wie gesund ist Streit in einer Beziehung? Geben Frauen eher nach? Und warum ärgern uns kleine Macken des Partners so sehr? Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen hat Bluewin mit dem bekannten Berner Paartherapeut Klaus Heer gesprochen.
INTERVIEW: BRUNO BÖTSCHI
INTERVIEW: BRUNO BÖTSCHI
Bluewin: Herr Heer, Sie sind ein arroganter Kerl …
Klaus Heer: … wie kommen Sie darauf?
Sie wollen immer recht haben und alles besser wissen.
Sie haben recht.
Ich wollte nicht recht haben, ich wollte mit Ihnen streiten. Sie scheinen jedoch nicht aus der Reserve zu locken zu sein. Warum lachen Sie jetzt? Streiten Sie nicht gerne?
Nein, es gelüstet mich nie. Streiten ist die absurdeste zweisame Veranstaltung überhaupt. Sie müssen sich vorstellen: Ich erlebe das jeden Tag hier bei der Arbeit. Ein streitendes Paar ist wie ein Auto, das im Sumpf einsinkt und seinen Motor aufheulen lässt. Die Räder drehen leer, das Gefährt sinkt immer mehr ein.
Klaus Heer: … wie kommen Sie darauf?
Sie wollen immer recht haben und alles besser wissen.
Sie haben recht.
Ich wollte nicht recht haben, ich wollte mit Ihnen streiten. Sie scheinen jedoch nicht aus der Reserve zu locken zu sein. Warum lachen Sie jetzt? Streiten Sie nicht gerne?
Nein, es gelüstet mich nie. Streiten ist die absurdeste zweisame Veranstaltung überhaupt. Sie müssen sich vorstellen: Ich erlebe das jeden Tag hier bei der Arbeit. Ein streitendes Paar ist wie ein Auto, das im Sumpf einsinkt und seinen Motor aufheulen lässt. Die Räder drehen leer, das Gefährt sinkt immer mehr ein.
«Ein streitendes Paar ist wie ein Auto, das im Sumpf einsinkt und seinen Motor aufheulen lässt.»
Wird während den Beratungsgesprächen bei Ihnen derart häufig und heftig gestritten?
Häufig ja, heftig nein. Heftigkeit lasse ich nicht zu, solange das Paar bei mir ist. Streitpaare müssen nicht lernen, bissig zu sein. Das beherrschen sie bereits.
Heftigkeit lassen Sie nicht zu. Wann schreiten Sie ein?
Meistens wenn ich sehe, dass sich die beiden im Kreis drehen, das heisst spätestens nach sechs, sieben Minuten. Oder deutlich früher, falls ich damit rechnen muss, dass ein Wasserglas oder ein Schuh als Wurfgeschoss eingesetzt werden könnten.
Kommt es vor, dass einer der Partner Sie auf seine Seite ziehen will?
Ja. Ich lasse mich auch gern auf eine Seite ziehen. Und kurz darauf auf die andere.
Häufig ja, heftig nein. Heftigkeit lasse ich nicht zu, solange das Paar bei mir ist. Streitpaare müssen nicht lernen, bissig zu sein. Das beherrschen sie bereits.
Heftigkeit lassen Sie nicht zu. Wann schreiten Sie ein?
Meistens wenn ich sehe, dass sich die beiden im Kreis drehen, das heisst spätestens nach sechs, sieben Minuten. Oder deutlich früher, falls ich damit rechnen muss, dass ein Wasserglas oder ein Schuh als Wurfgeschoss eingesetzt werden könnten.
Kommt es vor, dass einer der Partner Sie auf seine Seite ziehen will?
Ja. Ich lasse mich auch gern auf eine Seite ziehen. Und kurz darauf auf die andere.
«Jeder Streit ist überflüssig und zerstörerisch.»
Wie schaffen Sie es, als Paartherapeut neutral zu bleiben und Distanz zu wahren?
Ich bin nicht neutral, sondern allparteilich. Das habe ich inzwischen gründlich gelernt. Diese Gleichgewichts-Fähigkeit beherrsche ich instinktiv, selbst wenn mir gelegentlich nicht beide gleich sympathisch sind.
Der Klügere gibt nach, heisst es. Wer lenkt bei Streitereien in Ihrer Praxis schneller ein: die Frau oder der Mann?
«Der Gschider git nah, der Esel blibt stah» heisst das Sprichwort im Originalton. In meinen Ohren verheisst das nichts Gutes. Der Machtkampf zwischen Mann und Frau geht garantiert weiter. Niemand will einlenken. Wer möchte schon der Esel sein und bleiben? Nachgeben ist nicht die Lösung. Den Streit kultivieren auch nicht.
Streitkultur ist demnach ein Unwort für Sie.
Ja, der Begriff ist ein Widerspruch in sich selbst. Man muss sich entscheiden: Entweder hat man Streit oder Kultur. Beides geht für mich nicht zusammen.
Aber es kann doch nicht immer alles eitel Sonnenschein sein – weder im Beruf noch im Privaten. Richtig?
Falsch. Jeder Streit ist überflüssig und zerstörerisch. Natürlich weiss ich, dass jedes Zusammenleben unausweichlich Reibung und Konflikt mit sich bringt. Aber Streit ist kein Ausweg. Im Gegenteil, er verschärft die schwierigen Emotionen. Sonst nichts.
Ich bin nicht neutral, sondern allparteilich. Das habe ich inzwischen gründlich gelernt. Diese Gleichgewichts-Fähigkeit beherrsche ich instinktiv, selbst wenn mir gelegentlich nicht beide gleich sympathisch sind.
Der Klügere gibt nach, heisst es. Wer lenkt bei Streitereien in Ihrer Praxis schneller ein: die Frau oder der Mann?
«Der Gschider git nah, der Esel blibt stah» heisst das Sprichwort im Originalton. In meinen Ohren verheisst das nichts Gutes. Der Machtkampf zwischen Mann und Frau geht garantiert weiter. Niemand will einlenken. Wer möchte schon der Esel sein und bleiben? Nachgeben ist nicht die Lösung. Den Streit kultivieren auch nicht.
Streitkultur ist demnach ein Unwort für Sie.
Ja, der Begriff ist ein Widerspruch in sich selbst. Man muss sich entscheiden: Entweder hat man Streit oder Kultur. Beides geht für mich nicht zusammen.
Aber es kann doch nicht immer alles eitel Sonnenschein sein – weder im Beruf noch im Privaten. Richtig?
Falsch. Jeder Streit ist überflüssig und zerstörerisch. Natürlich weiss ich, dass jedes Zusammenleben unausweichlich Reibung und Konflikt mit sich bringt. Aber Streit ist kein Ausweg. Im Gegenteil, er verschärft die schwierigen Emotionen. Sonst nichts.
Wo sehen Sie denn Lösungsmöglichkeiten?
Wir müssen unbedingt lernen, mit Vorwürfen umzugehen. Gewohnheitsmässig verschliessen wir unser Herz, wenn wir uns angegriffen fühlen. Wir verteidigen und rechtfertigen uns reflexartig. Damit provozieren wir den Streit, weil sich der Partner nicht verstanden fühlt. Also Ohren auf statt streiten!
Es sind nicht alle dieser Meinung. Andere Experten behaupten: «Streit kann eine reinigende Wirkung haben und damit auch eine Beziehung festigen. Vorausgesetzt, beide Partner legen auf eine gesunde Streitkultur Wert.»
Ich weiss, das ist fachlicher Mainstream. Und ein romantischer Lieblingsgedanke vieler Paare, die glauben, mit einer «Streitkultur» der Auseinandersetzung die Spitze zu nehmen. Damit verharmlost man den Streit. Die Erfahrung zeigt doch, dass man den Verletzungen nicht gewachsen ist, die man sich im eskalierenden Streit gegenseitig zufügt. Da genügen bereits scheinbar banale Alltäglichkeiten.
Sie meinen, kleine Ärgernisse des Alltags entwickeln sich in einer Beziehung oft zu einem ausgewachsenen Streit. Warum ist das so?
Es ist wie im Blumengarten: Wenn man ihn vernachlässigt, spriessen bald mehr Disteln und Dornen als Dahlien. Ein liebloses Klima produziert Empfindlichkeit und Null-Toleranz. Das Problem ist also nicht in erster Linie was stört, sondern was fehlt. Eine unterernährte Beziehung verwahrlost und gerät in einen Abwärtsstrudel. Je mehr fehlt, umso bedrohlicher werden die Pannen.
Wir müssen unbedingt lernen, mit Vorwürfen umzugehen. Gewohnheitsmässig verschliessen wir unser Herz, wenn wir uns angegriffen fühlen. Wir verteidigen und rechtfertigen uns reflexartig. Damit provozieren wir den Streit, weil sich der Partner nicht verstanden fühlt. Also Ohren auf statt streiten!
Es sind nicht alle dieser Meinung. Andere Experten behaupten: «Streit kann eine reinigende Wirkung haben und damit auch eine Beziehung festigen. Vorausgesetzt, beide Partner legen auf eine gesunde Streitkultur Wert.»
Ich weiss, das ist fachlicher Mainstream. Und ein romantischer Lieblingsgedanke vieler Paare, die glauben, mit einer «Streitkultur» der Auseinandersetzung die Spitze zu nehmen. Damit verharmlost man den Streit. Die Erfahrung zeigt doch, dass man den Verletzungen nicht gewachsen ist, die man sich im eskalierenden Streit gegenseitig zufügt. Da genügen bereits scheinbar banale Alltäglichkeiten.
Sie meinen, kleine Ärgernisse des Alltags entwickeln sich in einer Beziehung oft zu einem ausgewachsenen Streit. Warum ist das so?
Es ist wie im Blumengarten: Wenn man ihn vernachlässigt, spriessen bald mehr Disteln und Dornen als Dahlien. Ein liebloses Klima produziert Empfindlichkeit und Null-Toleranz. Das Problem ist also nicht in erster Linie was stört, sondern was fehlt. Eine unterernährte Beziehung verwahrlost und gerät in einen Abwärtsstrudel. Je mehr fehlt, umso bedrohlicher werden die Pannen.
«Paarbiografien verlaufen unergründlich und nicht vohersehbar.»
Konnten Sie in den 40 Jahren, in denen Sie als Paartherapeut arbeiten, viele unterernährte Beziehung, also solche in denen viel gestrittenen wurde, retten?
Meine Arbeit als Paarcoach besteht ja in erster Linie darin, Offensichtliches sichtbar und bewusst zu machen. Ich habe kaum je ein Paar erlebt, das bestritten hätte, dass eine herzlose häusliche Atmosphäre fast zwangsläufig Stunk und Streit hervorbringt. Erschütternd ist doch die Erkenntnis, dass man keinen Menschen auf der Welt so kalt und respektlos behandelt, wie den eigenen Partner immer wieder. Nur: so etwas Gravierendes zu erkennen, heisst noch nicht, es in den eigenen vier Wänden auch umzusetzen. Wieviele Paare das auf Dauer wirklich schaffen, kann ich nicht wissen.
Freunde von mir besuchten vor fünf Jahren eine Paartherapie, weil es in ihrer Beziehung oft Streit gab. Heute führt das Ehepaar eine deutlich liebevollere Beziehung. Ehrlich gesagt hätte ich nicht erwartet, das ein Coaching so viel Positives auslösen kann.
Ich staune manchmal genauso wie Sie. Paare sind Wundertüten; Paarbiografien verlaufen unergründlich und nicht vorhersehbar. Oft sind Paare demoralisiert angesichts ihrer bisherigen aggressiven Geschichte. Irgendwann haben sie genug davon und mobilisieren ihre ganze Kraft, um gemeinsam die Weichen neu zu stellen. Dann passieren Wunder.
Meine Arbeit als Paarcoach besteht ja in erster Linie darin, Offensichtliches sichtbar und bewusst zu machen. Ich habe kaum je ein Paar erlebt, das bestritten hätte, dass eine herzlose häusliche Atmosphäre fast zwangsläufig Stunk und Streit hervorbringt. Erschütternd ist doch die Erkenntnis, dass man keinen Menschen auf der Welt so kalt und respektlos behandelt, wie den eigenen Partner immer wieder. Nur: so etwas Gravierendes zu erkennen, heisst noch nicht, es in den eigenen vier Wänden auch umzusetzen. Wieviele Paare das auf Dauer wirklich schaffen, kann ich nicht wissen.
Freunde von mir besuchten vor fünf Jahren eine Paartherapie, weil es in ihrer Beziehung oft Streit gab. Heute führt das Ehepaar eine deutlich liebevollere Beziehung. Ehrlich gesagt hätte ich nicht erwartet, das ein Coaching so viel Positives auslösen kann.
Ich staune manchmal genauso wie Sie. Paare sind Wundertüten; Paarbiografien verlaufen unergründlich und nicht vorhersehbar. Oft sind Paare demoralisiert angesichts ihrer bisherigen aggressiven Geschichte. Irgendwann haben sie genug davon und mobilisieren ihre ganze Kraft, um gemeinsam die Weichen neu zu stellen. Dann passieren Wunder.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor