Dr. Klaus Heer

srf news vom 17. Dezember 2015
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Wir bleiben zusammen – im Guten wie im Schlechten

Hoch soll sie leben – die Ehe. In der Schweiz trennen sich immer weniger Paare. Für 2015 wird ein Zehnjahres-Minusrekord erwartet. Doch ein Paartherapeut vermasselt die Stimmung: Weniger Scheidungen bedeuten nicht glücklichere Paare.

VON BENI FRENKEL
Die Scheidungsanwälte in der Schweiz stehen vor einem Dilemma: Einerseits wollen wahrscheinlich auch sie nicht, dass sich jemand von seinem Partner trennt. Andererseits sinken ihre Erträge kontinuierlich. Und das seit fünf Jahren.

In der Schweiz trennen sich weniger Paare. Nicht, weil immer weniger geheiratet wird, sondern weil die Ehen bis zur Scheidung immer länger halten. Durchschnittlich 15 Jahre.

Rückgang um 25 Prozent bei den Scheidungen
Und trotz des rasanten Aufstiegs von Fremdgeh-Portalen sind die Scheidungen von 22081 im Jahr 2010 auf 16737 im Jahr 2014 gesunken. Das entspricht einem Rückgang von knapp 25 Prozent. Die Zahl der Eheschliessungen ist dabei nur um weniger als drei Prozent gesunken.

Für das Jahr 2015 liegen erst die provisorischen Monatsergebnisse von Januar bis Oktober vor. In dieser Zeitspanne haben sich rund 13'100 Paare getrennt. Das sind sechs Prozent weniger als in der gleichen Vorjahresperiode. Geht man von den Vorjahresdaten aus, fällt dieses Jahr – erstmals seit 2001 – die Zahl der Trennungen unter die Marke von 16'000. Und im Vergleich zum Jahr 2001 leben heute eine Million mehr Menschen in der Schweiz.

Die Scheidungsrate sinkt und sinkt
Von Januar bis Oktober dieses Jahres haben sich 34'200 Paare getraut (auch hier: provisorische Zahlen). Das ergibt eine Scheidungsrate von 38,3 Prozent. Im Wonnemonat Mai fiel diese Rate sogar auf unter 27 Prozent. Vor zehn Jahren sah das noch anders aus, da hatten die Scheidungsanwälte mehr zu tun: Im Jahr 2005 betrug die Scheidungsrate 52,6 Prozent.

Doch warum geht die Zahl der Scheidungen zurück? Paartherapeut Klaus Heer überrascht mit einer spannenden These: Immer mehr Paare geben sich mit den Makeln ihrer Partner zufrieden und scheuen den Gang zum Scheidungsamt. Im Gespräch geht er den Gründen nach.
SRF News: Herr Heer, warum lassen sich immer weniger Paare scheiden?
Klaus Heer: Die Ehe gilt immer noch als höchste aller Gefühle, sicher bevor man heiratet. Allerdings auch als die Beziehungsform mit dem grössten Risiko. Die Scheidung ist nach wie vor ein Weltuntergang, ein selbstverschuldeter zudem. Man fürchtet ihn, zu Recht. Vor allem wegen der gravierenden Nebenwirkungen auf die Kinder. Und weil die Folgen für Mann und Frau gleichermassen unabsehbar und erschütternd sind. Das lässt viele Paare vor dem Schritt zum Gericht zurückschrecken. Oder sie lassen es bei einer informellen Trennung bewenden.

Kann man aus dieser Statistik schliessen, dass Paare zufriedener sind als früher?
Schön wärs. Vielleicht trifft eher das Gegenteil zu. Im besten Fall haben mehr und mehr Paare allmählich gelernt, mit ihren Scheidungsgründen zu leben. Mühsamer ist die Tatsache, dass es viele Ehen gibt, die eine zweifelhafte Unauflöslichkeit zusammenhält: Die Paare schaffen es nicht, auseinander zu gehen. Obwohl ihnen die Lebens- und Zusammenlebensfreude abhandengekommen ist. Nur freiwillige Ehen sind lebenswert.

Wir stehen kurz vor Weihnachten. Gibt es ein Mittel für eine glückliche Paarbeziehung?
Nein. Das einzige, was man jetzt, ein paar Tage vor dem Fest der Liebe, noch machen kann: Kurzentschlossen die sumpfigen Sehnsüchte trockenlegen und ausnüchtern. Weihnachten ist nicht harmonischer als all die anderen ganz gewöhnlichen Tage vorher und nachher. Punkt.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor