Dr. Klaus Heer

St. Galler Tagblatt vom 22. September 2016
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«Scheidung gehört zum Geschäft»

Das globale Traumpaar Brad Pitt und Angelina Jolie ist am Ende – und die Welt fühlt mit. Warum es uns beschäftigt, wenn die bildschönen Superprivilegierten scheitern.

VON MELISSA MÜLLER
Das Ehe-Aus von «Brangelina» bewegt die ganze Welt. Endlich sei Brad Pitt wieder Single, frohlocken weibliche Fans. Hunderte kommentieren die Scheidung im Netz. «Das zeigt, dass Leute, die alles haben, sich alles leisten können und so viel erreicht haben, doch nicht glücklicher sind als ganz normale Menschen», heisst es in einem Internetkommentar. Auch hämische Bemerkungen gibt es: «So eine fetzige Scheidung gehört zum Showbusiness dazu. Ist ja der Job der Promis, uns zu unterhalten.»

Warum interessiert die Scheidung der Stars so brennend? Und ist es angemessen, bestürzt zu sein, weil Prominente sich scheiden lassen? Menschen, die man nie persönlich kennengelernt hat? «Es ist eigentlich absurd. Eine Paradoxie», sagt Filmwissenschafter Johannes Binotto, der sich mit Hollywood, den Melodramen und der Psychoanalyse auskennt. «Wir glauben, Angelina Jolie und Brad Pitt zu kennen, weil wir sie oft im Fernsehen und in den Zeitungen sehen. Wir sehen sie öfter als eigene Verwandten.» Darum seien manche bei der «Brangelina»-Scheidung schockierter als bei der Scheidung eines Onkels – «obschon sie völlig virtuelle Figuren sind».

Im Gänsemarsch mit sechs gestylten Kindern

Seit 2004 ein attraktives Paar, waren Pitt und Jolie lange das Vorbild einer erfolgreichen Ehe. Sie gehörten zu den aufregendsten Paaren, die Hollywood je hervorgebracht hat. Wenn sie nicht gerade auf einem roten Teppich posierten, sah man sie im Gänsemarsch mit ihren sechs Sprösslingen. Tadellos gestylt, trippelte die Multikulti-Grossfamilie durch irgendeinen Flughafen der Welt. «Bei Pitt und Jolie hatte ich oft das Gefühl, eine Familie zu sein, sei ihr Hauptjob», sagt Binotto. Unter der Namenssymbiose Brangelina hielten sie sich in den Boulevardmedien, mit deren Mechanismen sie geschickt zu spielen verstanden. «Sie sind das Extrembeispiel einer öffentlichen Performance – ähnlich wie Victoria und David Beckham.»

Auch Psychoanalytiker und Kolumnist Peter Schneider sucht Erklärungen für die Lust am Klatsch: «Sie synchronisiert die Menschen in dieser global individualisierten Zeit. Man könnte sagen: Die Beschäftigung damit ist so etwas wie gemeinsames Tatortschauen im Weltmassstab.»

Beziehung als Win-win-Situation

Zwischen Pitt und Jolie soll es am Set von «Mr. & Mrs. Smith» gefunkt haben. Damals spannte Jolie ihrer Schauspielkollegin Jennifer Aniston Brad Pitt aus. Der etwas langweilige Schönling verwandelte sich an der Seite von Angelina in einen cooleren Typen. Rebellisch und unantastbar zugleich: Das hatte «Wild Girl» Angelina schon vorher drauf gehabt. Pitt und Jolie engagierten sich für Flüchtlinge in Sierra Leone und Afghanistan – und adoptieren drei Kinder aus Krisenregionen.
Journalistin Beatrice Schlag schrieb einmal: «Aus gutem Klatsch muss ein Saft herausrinnen, den das eigene Leben nicht hergibt, weil es nicht in Luxussuiten und Privatjets stattfindet. Weil das Eheleben dahinplätschert, der Diamant am Finger bestenfalls so gross ist wie ein Gerstenkorn und man bei Frust nicht in den Pool hinter der Villa, sondern nur in die Badewanne springen kann.»

Hollywood übt eine ähnliche Faszination aus wie die Königshäuser. «Eine Prinzessin scheint als etwas Perfektes», sagt Binotto. «Stellt sich aber heraus, dass sie eine unglückliche Ehe und eine Affäre hat, treffen zwei Welten aufeinander. Die Märchenwelt und die Realität.» Und das interessiert. In den sozialen Medien gehen bei Jolie und Pitt die emotionalen Wogen besonders hoch wegen des Schicksals der sechs Kinder. Die Stars dienen als Projektionsfläche. Die weite Welt der Prominenten liefert Anschauungsunterricht. «Eine Scheidung ist immer ein Weltuntergang. Für alle Beteiligten, natürlich auch für die Kinder», sagt Paartherapeut Klaus Heer. Da sage sich mancher Normalsterbliche: «Zwölf Jahre Glamour und jetzt dieser Scherbenhaufen! Wie sollen wir Normalen die Liebe schaffen, wenn diese beiden bildschönen Superprivilegierten so kläglich scheitern?» Zumal die Schauspieler «Differenzen in der Kindererziehung» fürs Beziehungsende verantwortlich machen. Pitt wird vorgeworfen, Alkohol und Cannabis konsumiert zu haben, was den Kindern geschadet habe. «Möglicherweise ist dieser Vorwurf bereits der erste Böllerschuss im kommenden Rosenkrieg», sagt Paartherapeut Heer. Jedes Suchtmittel betäube und lähme die Kräfte, die für den heimischen Mikrokosmos dringend benötigt werden.

Zwei Identitäten als Star und Privatperson

Im Zeitalter des goldenen Hollywoods der 40er- und 50er-Jahre wurde das Image der Stars durch die Marketingabteilungen der Filmstudios aufgebaut und kontrolliert. «Sie teilten den Schauspielern Künstlernamen zu», sagt Filmwissenschafter Johannes Binotto. Auch fragliche Klauseln gab es, die den Stars verboten, gewisse Rollen zu spielen. «Cary Grant durfte keinen Mörder darstellen, obwohl er das wollte.» Es stimme nur zum Teil, dass der Starkult sich verändert hat. «Auch im Hollywood der 50er wurden Stars wie Judy Garland sehr wahrgenommen mit ihren Krankheiten und ihrer Drogenabhängigkeit.» Die Künstler hatten zwei Identitäten: eine als Star und eine als Privatperson. «Sie waren dadurch geschützter.»
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor