bedingungslos.ch vom 13. Februar 2016
«Ich halte dir den Rücken frei» – was das Grundeinkommen in Paarbeziehungen bewirken könnte
Klaus Heer ist Paar- und Familientherapeut und führt seit rund 40 Jahren eine Praxis in Bern. Er ist Produzent und Autor einer Reihe viel beachteter und kontrovers diskutierter Sendungen und Bücher. Mit Klaus Heer sprach Daniel Straub, Ökonom, Psychologe und Mitinitiant der Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen».
INTERVIEW: DANIEL STRAUB
INTERVIEW: DANIEL STRAUB
Daniel Straub: Niemand weiss, wie sich das bedingungslose Grundeinkommen genau auswirken wird. Aber mit der Debatte der nächsten Jahre stellen wir uns langsam darauf ein. Was denken Sie: Wie würde sich das bedingungslose Grundeinkommen auf Paarbeziehungen auswirken?
Klaus Heer: Die Emanzipation der Frau ist in unseren Familien noch nicht wirklich angekommen. Das ist nur leicht übertrieben. Sobald nämlich Kinder da sind, gerät die ökonomische Eigenständigkeit der jungen Mutter in akute Gefahr, egal wie gut ausgebildet und berufserfahren sie ist. Sie verliert sehr wahrscheinlich ihr eigenes Erwerbseinkommen. Die allgemeine Entrüstung über dieses leise Abgleiten in die Abhängigkeit hält sich erstaunlicherweise in engsten Grenzen. Sogar in den betroffenen Beziehungen selbst. Dort werden viele Frauen einfach mehr und mehr frustriert und unglücklich ...
... weil sie jetzt plötzlich nicht mehr zur 41 Prozent erwerbstätigen Bevölkerung gehören ...
... genau! Und nicht einmal mit einem Transfereinkommen rechnen können wie etwa Alte und Invalide. Natürlich nagen sie nicht am Hungertuch. Nein, sie profitieren im Gegenteil direkt vom beruflichen Aufstieg ihres Mannes, den sie ja als dessen Steigbügelhalterin mit ermöglicht haben. «Ich habe dir die ganze Zeit den Rücken frei gehalten, damit du ungehindert aufsteigen konntest!» wird sie ihm Jahre später in schweren Debatten in der Küche an den Kopf werfen.
Was ist schief gelaufen?
Heute – vor der Einführung des Grundeinkommens (lacht) – müssen viele Frauen dafür büssen, dass sie damals, vor der Zeugung des gemeinsamen Nachwuchses, ihren Mann nicht zur vertraglichen Verbindlichkeit ihrer vagen romantischen Zusagen gedrängt, ja gezwungen haben.
Wie meinen Sie das?
In jeder Liebesgeschichte werden irgendwann entscheidende Weichen gestellt. Entweder mit klarem Kopf oder im Gefühlsdusel. Verpasste wirtschaftliche Weichenstellungen rächen sich und führen in dieses fast ausweglose Dilemma.
Nämlich?
Der Mann, der immer schon mehr Einkommen generiert hat als seine Partnerin, ist und bleibt jetzt der alleinige «Ernährer» der Familie. Die Frau sitzt fest zu Hause, dem undankbarsten Arbeitsplatz der Welt, und schafft höchstens den «Wiedereinstieg» in eine bescheidene Teilzeitbeschäftigung. Oder in eine «Freiwilligenarbeit», für die sie unfreiwillig nicht bezahlt wird. Unfreiwillig ist für sie auch der Stress der Doppelbelastung, dem sie jeden Tag ausgesetzt ist.
Sie malen schwarz. Ich kenne jede Menge Frauen, die gern Hausfrauen und Mütter sind.
Ich sehe Unmengen von Beziehungen, die verzweifelt darüber sind, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Hier bei mir kommt heraus, wie schwer es für beide ist, einander zu verstehen. Nicht etwa weil sie nicht genügend Liebe und Engagement aufbrächten. Sondern weil das institutionelle Dilemma zwischen den Zweien kaum mehr zu lösen ist. Vor allem aber fehlt den meisten Männern die emotionale Fantasie, wie das ist, kein eigenes Einkommen mehr zu haben. «Du hast doch Zugang zu allen Konten, du verwaltest unser Geld, kannst damit eigentlich machen was du willst. Warum zum Teufel bist du ständig unzufrieden?» Sie können partout nicht verstehen, dass «unser» Geld nicht dasselbe ist wie «mein selber verdientes Geld». Ich selbst habe das Gefühl seit dem Ende meiner Pubertät nie mehr erlebt.
Aber die Frauen verstehen doch ihre Männer besser, nicht?
Von wegen! Da ist eben dieses Grund-Ressentiment vieler Frauen, dass ihr Mann ihnen den unattraktiven und darum unbezahlten häuslichen Grossaufwand samt Kinderbetreuung grossenteils überlassen und selbst ungerührt sein berufliches «Fortkommen» – man beachte das aussagekräftige Nomen – vorangetrieben hat. Wer dem anderen so viel übel nimmt, hat null Bock, ihn verstehen zu wollen.
Was könnte sich eines Tages mit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens ändern?
Sehen Sie, hier an dem Strässchen, wo ich wohne, gibt es zwei Frauen, die schon heute ein «bedingungsloses Grundeinkommen» haben. Die eine ist Witwe, die andere geschieden. Sie bekommen eine Rente, bzw. Alimente. Beide können damit gut leben und obendrein beruflich genau das machen, was sie schon immer wollten – neben ihren Aufgaben als allein erziehende Mütter. Sie scheinen zufrieden mit ihrem Leben.
Ist diese Grundeinkommens-Zufriedenheit auch zu erwarten für die Frauen Ihres Quartiers, die in ganzen Beziehungen und intakten Familien leben?
Das neue System begünstigt Familien ganz speziell. Beide Partner, ja alle Familienmitglieder erhalten das Grundeinkommen. Dies mildert die Last der einseitigen Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den beiden Partnern. Sich Kümmern um die häusliche und familiäre Infrastruktur – das muss niemand mehr gratis machen. Diese Basisarbeit erhält also die materielle Würdigung vom System und mindert den potentiellen Druck und die Konfliktanfälligkeit, die jetzt auf dem einzelnen Paar lasten.
Basiseinkommen ermöglicht Basisarbeit, das klingt gut ...
... es ist wirklich gut! Und zwar für Mann und Frau bringt es vergleichbare Chancen, ihrem inzwischen längst vergleichbaren Ausbildungsstand gemäss zu leben und sich zu realisieren. Das bedingungslose Grundeinkommen ist der erste wirklich passende Passepartout zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie – für beide Geschlechter. Mann und Frau, die solidarisch und gerecht sein wollen in der Aufteilung der Erwerbstätigkeit und der Drecksarbeit, können das nunmehr ganz real umsetzen.
Wie bitte – Drecksarbeit?!
Ja, Drecksarbeit. Drecksarbeit definiere ich so: Drecksarbeit ist Arbeit, die keiner machen will. Sie ist schlecht oder gar nicht bezahlt. Innerhalb der Familie wird sie romantisiert und schöngeredet – zu Lasten der Frauen. Hier in den eigenen vier Wänden ist sie dreckig, weil man unlauter ist und selbstbezogen – zu Lasten der Liebe. Natürlich ist Putzen nicht dreckig, ganz im Gegenteil. Kinder füttern und kleiden auch nicht, sicher nicht. Aber wer’s den ganzen Tag machen muss, über Jahre und Jahre, obwohl er/sie es sich ursprünglich ganz anders vorgestellt hatte, und obwohl es doch andere gemeinsame Liebes- und Lebensvisionen gab ..., der weiss ein trauriges Lied zu singen über verhinderte Träume, Einsamkeit und Wut.
Und das bedingungslose Grundeinkommen ist also ...
... das Ende der Ausreden à la «Es geht nicht, der Chef will keine 80%-Leute» und dergleichen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist der Anfang eines dynamischen Zusammenhalts zweier Menschen, wie sie alles, was anfällt, konkret miteinander teilen und untereinander aufteilen wollen. Gemäss ihren Stärken und Kräften und Lüsten, nicht gnadenlos nach ihrer Geschlechtszuhörigkeit.
Klaus Heer: Die Emanzipation der Frau ist in unseren Familien noch nicht wirklich angekommen. Das ist nur leicht übertrieben. Sobald nämlich Kinder da sind, gerät die ökonomische Eigenständigkeit der jungen Mutter in akute Gefahr, egal wie gut ausgebildet und berufserfahren sie ist. Sie verliert sehr wahrscheinlich ihr eigenes Erwerbseinkommen. Die allgemeine Entrüstung über dieses leise Abgleiten in die Abhängigkeit hält sich erstaunlicherweise in engsten Grenzen. Sogar in den betroffenen Beziehungen selbst. Dort werden viele Frauen einfach mehr und mehr frustriert und unglücklich ...
... weil sie jetzt plötzlich nicht mehr zur 41 Prozent erwerbstätigen Bevölkerung gehören ...
... genau! Und nicht einmal mit einem Transfereinkommen rechnen können wie etwa Alte und Invalide. Natürlich nagen sie nicht am Hungertuch. Nein, sie profitieren im Gegenteil direkt vom beruflichen Aufstieg ihres Mannes, den sie ja als dessen Steigbügelhalterin mit ermöglicht haben. «Ich habe dir die ganze Zeit den Rücken frei gehalten, damit du ungehindert aufsteigen konntest!» wird sie ihm Jahre später in schweren Debatten in der Küche an den Kopf werfen.
Was ist schief gelaufen?
Heute – vor der Einführung des Grundeinkommens (lacht) – müssen viele Frauen dafür büssen, dass sie damals, vor der Zeugung des gemeinsamen Nachwuchses, ihren Mann nicht zur vertraglichen Verbindlichkeit ihrer vagen romantischen Zusagen gedrängt, ja gezwungen haben.
Wie meinen Sie das?
In jeder Liebesgeschichte werden irgendwann entscheidende Weichen gestellt. Entweder mit klarem Kopf oder im Gefühlsdusel. Verpasste wirtschaftliche Weichenstellungen rächen sich und führen in dieses fast ausweglose Dilemma.
Nämlich?
Der Mann, der immer schon mehr Einkommen generiert hat als seine Partnerin, ist und bleibt jetzt der alleinige «Ernährer» der Familie. Die Frau sitzt fest zu Hause, dem undankbarsten Arbeitsplatz der Welt, und schafft höchstens den «Wiedereinstieg» in eine bescheidene Teilzeitbeschäftigung. Oder in eine «Freiwilligenarbeit», für die sie unfreiwillig nicht bezahlt wird. Unfreiwillig ist für sie auch der Stress der Doppelbelastung, dem sie jeden Tag ausgesetzt ist.
Sie malen schwarz. Ich kenne jede Menge Frauen, die gern Hausfrauen und Mütter sind.
Ich sehe Unmengen von Beziehungen, die verzweifelt darüber sind, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Hier bei mir kommt heraus, wie schwer es für beide ist, einander zu verstehen. Nicht etwa weil sie nicht genügend Liebe und Engagement aufbrächten. Sondern weil das institutionelle Dilemma zwischen den Zweien kaum mehr zu lösen ist. Vor allem aber fehlt den meisten Männern die emotionale Fantasie, wie das ist, kein eigenes Einkommen mehr zu haben. «Du hast doch Zugang zu allen Konten, du verwaltest unser Geld, kannst damit eigentlich machen was du willst. Warum zum Teufel bist du ständig unzufrieden?» Sie können partout nicht verstehen, dass «unser» Geld nicht dasselbe ist wie «mein selber verdientes Geld». Ich selbst habe das Gefühl seit dem Ende meiner Pubertät nie mehr erlebt.
Aber die Frauen verstehen doch ihre Männer besser, nicht?
Von wegen! Da ist eben dieses Grund-Ressentiment vieler Frauen, dass ihr Mann ihnen den unattraktiven und darum unbezahlten häuslichen Grossaufwand samt Kinderbetreuung grossenteils überlassen und selbst ungerührt sein berufliches «Fortkommen» – man beachte das aussagekräftige Nomen – vorangetrieben hat. Wer dem anderen so viel übel nimmt, hat null Bock, ihn verstehen zu wollen.
Was könnte sich eines Tages mit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens ändern?
Sehen Sie, hier an dem Strässchen, wo ich wohne, gibt es zwei Frauen, die schon heute ein «bedingungsloses Grundeinkommen» haben. Die eine ist Witwe, die andere geschieden. Sie bekommen eine Rente, bzw. Alimente. Beide können damit gut leben und obendrein beruflich genau das machen, was sie schon immer wollten – neben ihren Aufgaben als allein erziehende Mütter. Sie scheinen zufrieden mit ihrem Leben.
Ist diese Grundeinkommens-Zufriedenheit auch zu erwarten für die Frauen Ihres Quartiers, die in ganzen Beziehungen und intakten Familien leben?
Das neue System begünstigt Familien ganz speziell. Beide Partner, ja alle Familienmitglieder erhalten das Grundeinkommen. Dies mildert die Last der einseitigen Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den beiden Partnern. Sich Kümmern um die häusliche und familiäre Infrastruktur – das muss niemand mehr gratis machen. Diese Basisarbeit erhält also die materielle Würdigung vom System und mindert den potentiellen Druck und die Konfliktanfälligkeit, die jetzt auf dem einzelnen Paar lasten.
Basiseinkommen ermöglicht Basisarbeit, das klingt gut ...
... es ist wirklich gut! Und zwar für Mann und Frau bringt es vergleichbare Chancen, ihrem inzwischen längst vergleichbaren Ausbildungsstand gemäss zu leben und sich zu realisieren. Das bedingungslose Grundeinkommen ist der erste wirklich passende Passepartout zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie – für beide Geschlechter. Mann und Frau, die solidarisch und gerecht sein wollen in der Aufteilung der Erwerbstätigkeit und der Drecksarbeit, können das nunmehr ganz real umsetzen.
Wie bitte – Drecksarbeit?!
Ja, Drecksarbeit. Drecksarbeit definiere ich so: Drecksarbeit ist Arbeit, die keiner machen will. Sie ist schlecht oder gar nicht bezahlt. Innerhalb der Familie wird sie romantisiert und schöngeredet – zu Lasten der Frauen. Hier in den eigenen vier Wänden ist sie dreckig, weil man unlauter ist und selbstbezogen – zu Lasten der Liebe. Natürlich ist Putzen nicht dreckig, ganz im Gegenteil. Kinder füttern und kleiden auch nicht, sicher nicht. Aber wer’s den ganzen Tag machen muss, über Jahre und Jahre, obwohl er/sie es sich ursprünglich ganz anders vorgestellt hatte, und obwohl es doch andere gemeinsame Liebes- und Lebensvisionen gab ..., der weiss ein trauriges Lied zu singen über verhinderte Träume, Einsamkeit und Wut.
Und das bedingungslose Grundeinkommen ist also ...
... das Ende der Ausreden à la «Es geht nicht, der Chef will keine 80%-Leute» und dergleichen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist der Anfang eines dynamischen Zusammenhalts zweier Menschen, wie sie alles, was anfällt, konkret miteinander teilen und untereinander aufteilen wollen. Gemäss ihren Stärken und Kräften und Lüsten, nicht gnadenlos nach ihrer Geschlechtszuhörigkeit.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor