Dr. Klaus Heer

20minuten vom 21. April 2016
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«Das würde Beziehungen revolutionieren»

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde das Selbstwertgefühl von Hausfrauen aufwerten und ihnen in der Beziehung mehr Macht verleihen, sagt Paartherapeut Klaus Heer.

VON DESIREE POMPER
Herr Heer, was bedeutet es für eine Beziehung, wenn der Mann voll erwerbstätig und die Frau als Hausfrau tätig ist?
Als Paartherapeut erlebe ich viele Paare, die in eine Falle geraten sind. Obwohl der Mann in seiner anfänglichen Verliebtheit seiner Frau versprochen hat, nur noch Teilzeit zu arbeiten, wenn Kinder da sind, arbeitet er Vollzeit weiter. Die Frau dagegen kümmert sich um Haushalt und Kinder. Nur 5 Prozent aller Paare teilen sich die bezahlte und unbezahlte Arbeit halbe-halbe – dieser Wert stagniert seit Jahrzehnten. Die Folge: Die Beziehung gerät in ein Ungleichgewicht. Die Frau befindet sich am tiefsten Punkt des Systems. Der Mann macht weiter wie bisher.

Tiefster Punkt des Systems – wie meinen Sie das?
Die Frau muss das machen, was niemand machen will: kochen, putzen, waschen, Kinder hüten, die kranke Schwiegermutter besuchen. Sie bekommt meist weder Bestätigung noch Wertschätzung. Zu Hause ist der undankbarste Arbeitsplatz der Welt. Ich erlebe Frauen, denen es ganz schlecht geht. Sie fühlen sich als Unterstützungsbedürftige, ihr Selbstwertgefühl ist im Keller, es plagen sie Ressentiments gegenüber ihren Männern, an denen sie dann ihren Frust ablassen. Dies passiert, sobald sich die Fortpflanzungseuphorie verzogen hat und die Kinder schon etwas grösser sind. Mit 40 finden sie sich plötzlich auf dem Stumpengleis und merken, dass der Karrierezug abgefahren ist.

Viele Frauen müssen das Haushaltsgeld aber nicht erbetteln, sondern haben freien Zugang zum Konto ihrer Ehemänner.
Das macht keinen Unterschied. In beiden Fällen ist man auf das Geld des Mannes angewiesen. Man ist von ihm abhängig. Das auszuhalten, kann schwierig sein. Gerade Männer sind kaum in der Lage, sich vorzustellen, wie belastend wirtschaftliche Abhängigkeit oft ist. Sie haben das seit ihrer Pubertät nicht mehr erlebt.

Aber es gibt doch sicher auch glückliche Hausfrauen.
Ja, es gibt Ausnahmen. Entweder haben diese Frauen ein robustes Selbstbewusstsein, sodass sie die Abhängigkeit von ihrem Mann gut aushalten können. Oder sie verfügen über eine ausgeprägte Hingabefähigkeit.

Am 5. Juni stimmen wir über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Was würde ein solches Einkommen für die bisher unbezahlte Hausfrau bedeuten?
Das bedingungslose Grundeinkommen würde die Paarbeziehung revolutionieren. Denn sie stärkt die Position der Frau innerhalb der Beziehung und sorgt für mehr Gleichgewicht zwischen Mann und Frau. Geld ist ja auch innerhalb der Familie ein Machtfaktor. Dadurch, dass die Frau monatlich 2500 Franken erhält und somit das Haushaltsbudget wächst, kann sie ihren Mann stärker unter Druck setzen, sein Arbeitspensum zu reduzieren und sich mehr um Kind und Haus zu kümmern. Er kann nicht länger argumentieren, dass er aus finanziellen Gründen 100 oder 120 Prozent arbeiten muss. Ausserdem wächst das Ansehen der Hausfrau innerhalb der Gesellschaft. Die Care-Arbeit, also die Betreuungsarbeit, die sie leistet, hätte durch die Entlöhnung endlich einen sichtbaren ökonomischen Wert und würde so von der Gesellschaft als «richtige» Arbeit anerkannt. Das könnte das Selbstvertrauen der Frau stärken.

Sie sagen, der Status der Frau würde gestärkt. Aber die Frau verdient das Geld ja nicht im klassischen Sinn, sondern bekommt es einfach vom Staat geschenkt. Warum sollte das ihr Selbstbewusstsein stärken?
Die Frau bekommt ein Grundeinkommen – wie auch ihr Mann oder ein Millionär. Für die AHV schämt sich schliesslich auch keiner! Dies aus dem Grund, weil alle diese Unterstützung erhalten. Das Grundeinkommen verschafft der Frau einen grösseren Verhandlungsspielraum, was ihr einen selbstbewussteren Auftritt gegenüber ihrem Mann ermöglicht.

Glauben Sie nicht, dass sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen viel mehr Frauen dazu entscheiden würden, zu Hause zu bleiben?
Das ist eine diabolische Frage. Sie unterstellt, dass die Frauen wegen 2500 Franken plötzlich schlappmachen und zu Hause bleiben würden. Da wäre es mit Emanzipation und professioneller Kompetenz nicht weit her. Ich bin vielmehr überzeugt, dass das bedingungslose Grundeinkommen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter möglich und attraktiv macht.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor